Hütte am Norra Barken in Dalarna (20.-25.07.2020)

von Reike

Unsere nächste Station führt uns erneut in die Provinz Dalarna. Anne hat uns über AirBnB eine kleine Holzhütte direkt am See gebucht. Der größte Ort in der Nähe des Barken-Seen-Systems ist Smedjebacken, eine gerade einmal fünftausend Seelen zählende Gemeinde. Die meisten Menschen leben hier jedoch wie Hagelzucker zerstreut um die zerklüfteten Seenküste herum. Der Barken teilt sich auf in einen südlichen und einen nördlichen Teil, den Södra Barken und den Norra Barken, sowie zahllosen größeren und kleineren Seen, viele davon miteinander verbunden.

Schon die Kontaktaufnahme mit den Vermietern im Vorfeld war etwas kurios. Das Paar kündigte uns vorab an, uns nicht persönlich in Empfang nehmen zu können, Corona und so. Im späteren Nachrichtenverlauf erfuhren wir, dass die zwei gar nicht im Lande seien. Vor Ort erfahren wir schließlich von Joacim, dass sein Vater und dessen zweite Frau den Plan verfolgen, Corona in Thailand auszusitzen. Währenddessen hütet der Baustellenberater hier samt Frau und deren fünf Kindern das Grundstück und entwickelt unterdessen das halbe Dutzend abgerockter Hütten hin zur Mietfähigkeit.

Wir haben etwas Schwierigkeiten mit der Anreise, denn Google-Maps kennt viele der schwedischen Straßennamen nicht. Die Anfahrtbeschreibung hilft auch nicht wirklich, denn sie spricht von „links“ und „rechts“ und „vorbei an roten Häusern“ und „vorbei an Waldeinfahrten“, aber man kann aus verschiedenen Richtungen kommen und keine der beschreibenden Ortsmerkmale ist markant. Wir fahren mehrere der Grundstücke an. Bei einem stellen wir unseren Foki neben einer Lkw-Ladung voll Baumaterialien – Latten, Dämmwolle, Dachpappe, alles auf Paletten verpackt. Da kommt uns Joacim schon entgegen, um uns zu begrüßen. Da es nach heftiger Bauphase aussieht und auf AirBnB hiervon nicht die Rede war, mache ich mich auf das Schlimmste gefasst.

Meine Ängste stellen sich wenig später als weitgehend unbegründet heraus. Joacim führt uns vorbei an mehreren Hütten, Hügel rauf, Hügel runter zur letzten, keine 10 Meter vom See entfernt.

Es ist bereits fast dunkel, und so klären wir nur noch schnell die wichtigsten Dinge: WLAN? Gibt es nicht. Angeln? Ist hier erlaubt. Jagdsaison? Hat noch nicht begonnen. Boot? Dürfen wir nutzen, nur Sprit müssen wir selbst kaufen.

Ich beeile mich, unsere Sachen vom Fokus zur ca. 150 Meter entfernten Hütte zu schaffen. Anne und ich haben uns im Entladen des Autos prima eingespielt. Ich schaffe hin, Anne packt aus. Die Jungs fassen hier und da mit an. Wenn ich fertig bin und Anne noch auspackt, mache ich schon Feuer, beziehe Betten, oder was sonst noch so anliegt. Zusammen brauchen wir für alles rund 30 Minuten. Hier vielleicht etwas länger, denn die Wege zum Auto sind weiter.

Bei jedem Gang zum Auto pflücke ich mir eine Handvoll Beeren, die überall auf dem Grundstück wachsen.

Glücklicherweise stellt Joacim seinen Gästen einen selbst gebauten Handwagen mit großvolumigen Reifen zur Verfügung. Es geht über scharfen Fels, zwischen Baumengen hindurch, über Blaubeerfelder hinweg. An einer Stelle bin ich skeptisch, ob ich mit dem vollbeladenen Wagen hindurch komme. Der Weg, welcher an einer Hütte vorbei führt ist sehr schmal und auf der hüttenabgewandten Seite durch hohen Stein begrenzt. Aber Joacim beruhigt mich. Er habe den Weg exakt so gebaut, dass man mit dem Wagen hindurchkommt. Den Weg nach einem Handwagen zu vermessen verrät mir einiges über den baulichen Pragmatismus von Joacim. Auf jeden Fall hat er Recht, links und rechts sind noch locker anderthalb Zentimeter Platz.

Wir machen es uns in der Hütte gemütlich. Nicht alle Räume haben Licht, oder Fenster. Und nicht alle Lampen funktionieren. Wir freuen uns besonders darüber, dass die Hüte eine Toilette mit Spülung hat. „Habe ich ganz frisch eingebaut“, sagt Joacim stolz. Erst auf der Herfahrt nämlich haben wir gecheckt, dass hier erneut ein Bioklo auf uns warten solle, sprich, ein Trockenklo, und damit hatten wir ja auf Öland sehr schlechte Erfahrungen gemacht. „Nur mit dem Abfluss kann es Probleme geben, das Ventil funktioniert vielleicht nicht richtig, wir sollen uns dann sofort melden“ meint Joacim. Aber abgesehen davon scheint die Hütte in gutem Zustand. Ist sogar größer und besser ausgestattet, als von uns befürchtet. Und sie hat einen gußeisernen Ofen, der wenig später den Wohnraum in wohlige Wärme lullt. Wir werden an diesem Tag nicht alt.

Der nächste Tag beginnt freundlich. Schauerwolken jagen über den Himmel, aber lassen genug Sicherheitsabstand, um immer wieder auch kräftige Sonnenstrahlen zu uns hindurch zu lassen. Das Thermometer klettert auch 15 Grad.

Ich war gefühlt schon zu lange nicht mehr im Wald und freue mich auf einen Streifzug allein und ziehe zu Fuß vom Grundstück los. Gleich hinter unserem Auto, noch auf dem Grundstück selbst, sehe ich einen majestätischen Steinpilz links der Einfahrt und die zugehörige Königin als Birken-Rotkappe rechts stehen. Vorfreude steigt in mir hoch. Ich wähne mich schon im Pilzparadies.

Der Wald ist hier extrem umwegsam. Steile Hänge, loses Geröll, eine nur dünne Moosschicht. Pilze gibt es hier jedoch überraschenderweise kaum. Wie auch. Fast keine Humusschicht, und der Regen fällt durch die Steine hindurch. In einer kleinen Senke begegnet mir eine Gruppe winziger Halsbandschwindlinge. Ich habe rund 5 km zurück gelegt, in sehr hügeliger Landschaft, aber meine Orientierung lässt mich nicht im Stich.

Kaiserfliegenpilze

Da es langsam dunkel wird, trete ich den Heimweg an. In einem kleinen Fichtenforst, dessen Bartflechten ein Hindurchkommen kaum zulassen, werde ich doch noch fündig. Wo sich ein winziger Bach seinen Weg sucht, offenbart sich mir ein Microbiotop an den Seiten des kleinen Wasserlaufs. Hier stoße ich auf einen extrem seltenen Kaiserfliegenpilz. Und nur wenige Meter weiter treffe ich auf ebenso extrem seltene Moorbirkenpilze.

Albino Moorbirkenpilze

An Essbarem finde ich außer ein paar Semmelstoppelpilze nichts. Aber zusammen mit dem großen Steinpilz und der Birken-Rotkappe vom Grundstück ergibt das zumindest eine delikate Beilage zum Knäckebrot.

Als ich zurück zur Hütte komme, sitzt Anne in dem kleinen Pavillion, der die Buchtnase ziert. Die Sonne geht gleich unter. Wir freuen uns auf einen gemeinsamen Spieleabend mit den Jungs.

Am nächsten Tag fragt Joacim mich, ob unsere Jungs Lust haben, mit seinen beiden Töchtern Engla und Olivia Chros-Golf zu spielen. Die beiden sind 10 und 8 und somit fast im gleichen Alter wie unsere zwei. Es kostet sie etwas Überwindung, in diesem fremden Land mit fremder Sprache und fremden Kindern zu spielen, aber wir ermutigen sie energisch und sie willigen ein. Das nächste Mal werden wir die zwei in drei oder vier Stunden wieder sehen.

Das gibt Anne und mir Gelegenheit, gemeinsam auf der schönen Terasse unserer Hütte zu chillen, zu lesen und den Seeblick zu genießen.

Als wir am Nachmittag die Toilette benutzen, natürlich für großes Geschäft, versagt die Spülung. Havarie! Sofort sagen wir Joacim Bescheid, der sich mit einer Bahnschaufel im Laufschritt mit uns zur Hütte auf den Weg macht. Als ginge es um Leben und tot gräbt er das Abflussventil aus dem steinharten Boden frei, flucht dabei immer wieder auf Schwedisch und hat, keine halbe Stunde später, den Abfluss dank eines neuen, leistungsstärkeren Ventils, repariert. Die Unannehmlichkeit tut ihm sehr leid, er entschuldigt sich mehrfach. Wir hingegen sind dankbar und froh, dass dieses vermeintlich große Problem nur so kurz eines wahr und wie ferne Gedanke so plötzlich verschwindet, wie es kam.

wenn das Wetter es irgendwie zulässt, essen wir draußen und genießen den Seeblick

Am nächsten Tag fahre ich nach dem Frühstück ins 20 Autominuten entfernte Smedjebacken, Lebensmittel einkaufen. Die halbe Strecke fahre ich über unbefestigte Waldwege ohne Namen. Es ist erstaunlich, wie schnell einem zunächst neue Wege dann bald vertraut werden. Noch vor zwei Tagen sind wir hier auf der Suche nach der Hütte rumgeirrt und alles sah gleich aus.

Als ich zurück komme, finde ich Anne lesend im Schlafzimmer, mit Jacke und Mütze an. Ich hatte vor meiner Abfahrt vergessen, Holz nachzulegen. In der Hütte war es mittlerweile 14 Grad. In Deutschland sind jetzt 29 Grad. Routinemäßig entfache ich ein Feuer und es dauert nicht lange, bis der bollernde Ofen die gesamte Hütte wieder aufwärmt.

Das kalte aber freundliche Wetter nutzen wir für ein leckeres Grillabendbrot auf einer der Seeterassen und lassen, gut gesättigt, den Abend erneut bei kurzweiligen Spielen im Pavillion ausklingen. „It’s your turn!“ ermahnt mich Nante, dass ich am Spielzug sei, als wäre es völlig selbstverständlich, dass er mit mir englisch spreche. Die Jungs haben allerhand neue Vokabeln und Redewendungen aufgeschnappt, seit sie mit den Kids hier täglich um die Hütten ziehen. Der Einfluss von kindlichem Spiel auf den Lernfortschritt in fremden Sprachen stellt jeden Schulunterricht mühelos in den Schatten.

Am nächsten Vormittag klettert das Thermometer auf 17 Grad. Ivo und Nante, die schon seit Tagen mit enttäuschten Gesichtern unser Badeverbot ertragen, kennen nun kein Halten mehr. Als Anne und ich ja sagen, sind sie in Nullkommanichts im Wasser. In Jacken schauen Anne und ich den beiden beim Badespaß zu.

Wenig später gesellen sich auch Engla und Olivia hinzu. Die vier verbringen jetzt jeden Tag viele Stunden miteinander. Es ist fantastisch, wie scheinbar mühelos Kinder Sprachbarrieren überwinden. Zwischendurch müssen wir die Kids immer mal mit blauen Lippen zu Badezwangspausen rausfischen. Dann spielen sie Karten, Chrossgolf, bauen Schleim oder machen sonstwas. Was genau, wissen Anne und ich oft gar nicht so genau, und es ist ein schönes Gefühl, hier, rund 150 km nordwestlich von Stockholm, trotzdem großes Behagen dabei zu empfinden, den Kindern diesen Raum und diese Freiheit zuzugestehen.

Währenddessen erreicht uns die Nachricht eines engen Freundes. Er habe ein paar Tage Zeit und plane, uns zu besuchen. Wo wir gerade stecken. Schnell versuchen Anne und ich, die nächste Station zu planen, um unserem Freund verbindliche Ortsdaten geben zu können, damit dieser entsprechende Flüge buchen kann. Mit großer Vorfreude schwärmen wir uns gegenseitig von den gemeinsamen Abenden vor, die uns bevorstehen. Wenig später sind die Flüge tatsächlich gebucht. Es erfüllt uns mit großer Freude, dass uns ein Freund hier in Schweden besuchen kommt.

Am nächsten Tag setzen wir einen Plan in die Tag um, den wir schon seit Wochen als Ballast im Reisegepäck mit uns führen: Wir basteln eine Flaschenpost mit den Jungs.

Am Anfang steht das Papier. Vor dreißig Jahren zeigte mir mein alter Herr, wie man den Rand von normalen Blättern mit Hilfe von Kerzenfeuer so verkokelt, dass das Papier sich morphologisch in Jahrhunderte alte Piratenkarten verwandelt. Ich freue mich diebisch, diese Fertigkeiten jetzt an meine Jungs weiterzugeben.

Währenddessen philosophieren wir, was denn nun auf dem Papier später stehen solle. Eine Schatzkarte vielleicht? Oder ein gewöhnlicher Brief? Ein Brief aus Kanibalengefangenschaft? Wollen sie vielleicht echte Antworten bekommen? Dann muss eine Adresse drauf stehen. Die Geschichte, vom schiffbrüchigen und gestrandeten Jungen auf einer einsamen Insel funktioniert dann auch nicht mehr. Im Eifer des Erzählgefechts brennen die bereits um mehrere Jahrzehnte gealterten Papiere immer wieder stärker an, als geplant und einmal hinterlässt die Kerzenflamme sogar ein Loch mitten im Blatt. Macht nichts! Das Loch wird später zwei, drei Wörter verschlucken. Gerade soviele, dass der Sinn noch erhalten bleibt, und der Rest noch geheimnisvoller wird.

Nachmittags schickt Anne die Jungs los, Beeren pflücken. Die koche ich ein, ohne Zucker oder sonstige Zusätze. Das Ergebnis ist beste Konfitüre, die sich wochenlang halten wird und besser schmeckt, als jede Supermarktware.

Ivo und Nante sind mit den Mädels am Wasser, erst Baden, dann Angeln, dann Baden, dann Angeln. Erschöpft kommen die Jungs für eine kleine Aufwärmpause in unsere Hütte. Währenddessen brechen Engla und Oliva übereilt mit ihrer Mutter auf. Gab es Streit? Wir erfahren es nicht, nur dass Joacim und seine Frau schon länger kein Paar mehr sind und nur der Kinder wegen noch zusammen wohnen. Für unsere Jungs ist der überraschende Abschied, der in der Eile nicht mal einer ist, natürlich doof.

Am nächsten Tag, unserem letzten hier, unternehmen wir zur Ablenkung mehrere Ausflüge. Zuerst einen mit dem Auto. Wir erkunden die nähere Umgebung und rollen rund 100 Kilometer übers Land. Wir finden keinen Shop, kein Restaurant. Viele winzige Orte, viele verlassene Farmen.

Zurück an der Hütte steuern wir das Boot an. Schon seit mehreren Tagen wünschen sich Anne und ich einen Bootsausflug. Jetzt ist die Gelegenheit günstig. Der Wind ist grenzwertig stark für den kleinen 5 PS Motor. Aber wir machen halt gemächlich und drehen eine mittelgroße Runde.

In der Nähe eines Wassergrundstücks mit drei oder vier zusammenstehenden Hütten und einem großen Steg mache ich den Motor aus und lass uns ein wenig treiben. Wir genießen die Landschaft, die Luft, den Wind. Doch als wir wieder weiter fahren wollen, springt der Außenborder nicht mehr an. Wie ein Held reiße ich an dem Zugseil, überprüfe Kraftstoffzufuhr, Gangschaltung, Choke, ziehe wieder am Anlasser, nichts passiert. Ich kenne mich mit dem konkreten Motor nicht aus. Nicht, dass ich mich überhaupt mit Bootsmotoren auskennen würde. Wirkliche Gefahr droht uns zu keiner Zeit, auch wenn der See groß ist, denn wir sind verhältnismäßig nah am Ufer und haben ein Notpaddel. Doch es dauert nicht lange, da löst sich ein Boot aus der Silhouette des Steges und kommt zielgerichtet auf uns zu. Zwei ältere Männer fragen, ob wir Hilfe bräuchten. Wir schildern die Lage, unsicher, ob der Motor mit etwas Warten vielleicht doch nochmal anspringen würde. Sofort bieten die beiden uns an, uns zu unserem Haus zurück zu schleppen. Wie weit das sei, fragen sie. Rund einen Kilometer sage ich. Kein Problem. Wir nehmen das Seil entgegen und vertauen es fest an der Bugklampe unseres Boots.

Wir fühlen uns wohl im Schlepptau und sind dankbar für diese großzügige Hilfe, die uns wie selbstverständlich entgegen gebracht wird. Ich komme nicht umhin zu realisieren, dass das ein ziemlich langer Kilometer ist. Offenbar habe ich mich um mindestens den Faktor 2 verschätzt. Wir waren vorher ja im Kreis gefahren, und auf Wässern, zumal unbekannten, verschätzt man sich sehr schnell. An unserem Bootssteg zurück, entlassen uns die beiden Schweden fröhlich aus der Schleppe, aber nicht, ohne mit nachsichtigem Grinsen ebenfalls anzumerken, dass das ja ein ziemlich langer Kilometer war. Etwas geniert aber vor allem dankbar stimme ich ihrer Einschätzung zu.

Zurück am Haus fragt mich Joacim, ob unsere Kids mit seinen in Kontakt bleiben wollen. Die zwei seien über Snapchat zu erreichen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Snapchat im Haus haben will, und biete alternativ WhatsApp an, das wiederum die Mädels von Joacim nicht haben. Alles nicht so leicht, aber wir tauschen die Kontakte aus und verbleiben unverbindlich.

Am nächsten Morgen starten Anne und ich unsere gewohnte Packroutine. Wir kommen gut voran, nicht zuletzt dank des Handwagens, der uns schon beim Auspacken gute Dienste geleistet hatte. Die Jungs helfen mir beim Taschen tragen. Nach 20 Minuten sind alle Taschen im Auto und die Kofferraumklappe geht zu. Jawoll. Zum Abschluss frage ich die Jungs, ob sie nochmal eine Runde auf dem Handwagen drehen wollen. Begeistert springen sie auf.

Wir drehen eine Runde, geben Gas, bremsen wieder, bergauf, bergab, Kurve links, Kurve rechts. Wir haben einen riesigen Spaß. Ich hinten am Schieben, vorne die Jungs, die juchzen und das herrliche Kribbeln in ihren Bäuchen genießen. Auf dem Weg zum Auto nochmal Endspurt. Ich geb Gas und .. komme jäh zum Stehen. Die Jungs knallen nach vorne. Ivo kullert über die Umrandung des Handwagens auf den Boden. Ich brauche einen Augenblick, um mich zu sammeln. In Sorge, den Jungs könne was passiert sein, checke ich die zwei zuerst. Doch die beiden sind in Ordnung, haben sich nur erschreckt. Ich gehe um den Wagen rum und ahne was los ist. Scheinbar bin ich gegen einen im hohen Gras versteckten Baumstumpf geknallt. Richtig bücken kann ich mich aber nicht.

Erst da realisiere ich, dass ich mir offenbar das Bein gestoßen habe. Bei dem Aufprall, bei dem der Wagen sofort zum Stoppen kam, muss ich noch soviel Schwung drauf gehabt haben, dass mein linker Oberschenkel mit dem stählernen Handlauf des Wagens kollidiert sein muss. Mein linkes Bein fühlt sich etwas taub an, und ich kann mir das nicht so recht erklären, der Handlauf ist ja rund wie ein Rohr. Was soll da schon passiert sein können. Noch etwas desorientiert schaue ich mir den Handlauf erneut an und sehe nun eine ca. 8 cm lange und 3 cm breite Stahlplatte, die mir vorher gar nicht aufgefallen war und die im 90 Grad Winkel an den Handlauf geschweißt ist, spitz und unbeschliffen, mit zwei Bohrungen, scheinbar ein Verbindungsstück für eine Motoradkupplung oder ähnliches. Diese habe ich mir also in den Oberschenkel gerammt. Ich blicke zur Hose runter, doch kann keine Beschädigung am Stoff erkennen. Als der erste Schock weg ist, und es den Kindern offenbar gut geht, kommt der Schmerz, erträglich aber deutlich.

Also setze ich mich ins Auto und ziehe meine Hose runter, um mir die Verletzung genauer anzusehen. Die Stahlplatte hat meine Haut auf circa sieben Zentimeter Länge aufgerissen. Die Wunde ist tief, so dass ich Fettgewebe sehe, aber sie blutet nicht allzu stark. So ein verfluchter Mist. Anne besorgt mir Salzwasserspülung und einen Druckverband. Ich ärgere mich maßlos über meine Ungeschicklichkeit.

Aus der zunächst unbekümmert startenden Abfahrt geht nun ein sehr gedämpftes Gefühl hervor. Es ist Sonntag und wir überlegen, ob ich die Wunde einem Arzt vorstelle oder nicht. Wir entscheiden uns für ja uns suchen das nächste Krankenhaus auf. Dort ist Totenstille. Ich irre ein wenig im Krankenhaus umher, während die anderen drei im Auto warten (wir wollen während Corona kein unnötiges Risiko eingehen), bis ich jemanden finde. Die Schwester spricht kein Englisch, holt aber einen Arzt. In dem dunklen Flur empfängt mich ein älterer Mann in weißem Kittel und Aschenbechergläsern auf dem Nasenbügel. Er scheint irgendwie sauer über den Umstand, dass ich da bin, schaut sich das ganze mit finsterer Miene aus 3 Metern Abstand an, sagt vier, fünf Worte zur Schwester auf Schwedisch, und geht wieder. Die schaut mich an, schaut dem Arzt hinter, dann wieder mich an und zuckt schließlich synchron mit Schultern und Augenbrauen. Schwedischkenntnisse benötige ich nicht, um das zu verstehen. Sie führt mich aber in einen Raum, wo sie die Wunde reinigt und mit einem Wundpflaster versorgt. In fürsorglichem Ton sagt sie mir noch etwas auf Schwedisch, während ich auf der Patientenliege liege, geht dann und lässt die Tür offen. Nach rund 15 Minuten bin ich mir fast sicher, dass keiner mehr wieder kommt, ziehe mich an und verlasse das Krankenhaus.

Eigentlich ist mir egal, ob die Wunde genäht wird, oder geklammert, oder gar nichts. Ich kann mein eigenes Gewissen damit beruhigen, dass ich die Verletzung einem Arzt vorgestellt habe, und das genügt mir. Einzig schade ist, dass ich sicher mindestens drei Wochen nicht werde baden können. Auf zum nächsten Ziel!

Und hier noch ein paar Bilder von unserer schönen Hütte:

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