Stockaryd Teil 2 (05. bis 10.06.2020)
von Reike
Am nächsten Tag, der Himmel war noch immer schwer verhangen und floß in endlosen Fäden auf die Erde ab, widme ich mich einer Hausaufgabe von Ivo. Dieser hatte aufgetragen bekommen, über unsere Schwedenreise einen Vortrag für seine Klasse in PowerPoint anzufertigen. Anne und ich diskutierten dies und erinnerten uns dabei an unsere nicht zu Ende gebrachte Überlegung, eventuell einen Reiseblog anzufangen. Es erschien uns zweckmäßig und interessant zu gleich, den Reiseblog und Ivos Schulaufgabe zu vereinen. So könnten wir für Ivo ein Blog-Projekt draus machen, aus dem er nach der Reise dann zusammenfassend einen Vortrag anfertigen könnte. Ivo ist sowieso für alles zu begeistern, was mit Computer zu tun hat. In dem Blog-Projekt könnten wir sogar noch etwas weiter ausholen: welche Arten von Blogs gibt es eigentlich? Mit welcher Motivation bloggen Menschen? Wie lässt sich mit Bloggen Geld verdienen? Wie setzt man einen Blog in WordPress auf und richtet ihn ein? Wie baut man die Geschichte auf, welche man erzählen möchte?
Ich indes bin mir noch unsicher, ob ich das Schreiben eines Blogs als befreiend und wohltuend empfinden würde, oder ob es mich von einem meiner Hauptvorsätze der Reise, dem nach weniger Screentime, abbringen könnte und ich somit lediglich insgeheim einer Sucht fröhnen wird. Ich entscheide, mich drauf einzulassen, aber zunächst skeptisch zu bleiben.
Zwei ausgiebige Regentagen vergehen, als sich der Wetterbericht ändert. Fast schlagartig reißt der Himmel auf. Weiß verdrängt das Grau, dann Blau wiederum das Weiß. Die Sonne scheint, und wenn auch die Temperaturen noch geradeso zweistellig sind, verändert sich der Anblick der Landschaft ebenso wie das Wetter. Alles glitzert. Surren und Zwitschern erfüllt die Luft. Zum ersten Mal bemerke ich, dass die zwei Apfelbäume auf dem perfekt gemähten Rasen noch in voller Blüte stehen (alle Natur in diesem Teil Schwedens rund drei Wochen später dran als um Berlin). Zeit für einen Ausflug!
Im südlicher gelegenen Lammhült schlendern wir ein wenig umher und besuchen die örtliche Pizzeria. Die Preise tun weh, aber die Portionen sind auch gigantisch und die Bedienung ist super geduldig mit uns. Wie war das nochmal mit der Trinkgeldhöhe in Schweden? Vor Schreck vergessen wir beim Bezahlen, welches zu geben. Stimmt, Trinkgeld ist hier schon of im Preis enthalten als sogenannte Service-Pauschale, und wenn es gegeben wird, fällt es häufig niedriger aus, als in Deutschland, ist aber natürlich nicht weniger gerne gesehen. Und so nehmen wir noch eine Alibibrause zum Abschied mit, und lassen für das gastliche Erlebnis angemessenes Trinkgeld da.
Bei der Rückfahrt zu unserem Feriendomizil in Stockaryd überqueren wir ein kleines Flüsschen. Ich stieg aus, weil es mir immer schwer fällt, an irgendeiner Pfütze vorbei zu gehen, ich aber nur eben selten die Zeit dazu habe. Das Flüsschen mündet in das Seerosenfeld eines Sees. Die Fische sprangen wie in einer Szene von Arielle von links nach rechts. Möwen stürzen im Hintergrund zu Dutzenden ins kalte Nass und kehren nie ohne vollen Schnabel zurück auf Beobachtungshöhe.
Mich erinnert der Ort stark an einen Platz auf meiner letzten Schwedenreise 2012. Damals war ich mit zwei meiner besten Freunde für zehn Tage ins schwedische Hinterland gefahren, außer Messer, Zelt und Angel kaum etwas dabei. Ein echter Männer-Survival-Trip. Ein Ort wie dieser hier hatte uns nach zwei Tagen knurrendem Magen einen unerwarteten Fangsegen beschert. Und jetzt stand ich hier. Die Angellust überrannte mich. War meine Gefühlslage die Tage zuvor regelrecht ablehnend gegenüber Angeln gewesen – was für mich äußerst ungewöhnlich ist – spüre ich jetzt diesen Fokus, das Pochen in der Brust, das Kribbeln in den Händen. Ich würde noch genügend Gelegenheiten zum Angeln bekommen auf unserem 10-wöchigen Schwedentripp.
Zurück in unserer gemütlichen Unterkunft nutzen wir das grandiose Wetter und die steigenden Temperaturen für viele Runden Wikingerschach, Fußball oder Yoga. Ein herber Dunggeruch in der Luft (auch die Bauern nutzten das schöne Wetter) stört uns nicht die Bohne. Frische Landluft halt. Herrlich.
Kurz vor Abreise lässt mich der Gedanke ans Angeln nicht los. Zwar war es noch nicht soweit, ich selbst war noch nicht soweit, wollte noch nicht so recht, aber ich wusste, dass es eher eine Frage von Tagen, wenn nicht Stunden sein würde. Vorher hatte ich aber noch ein Problem zu lösen: Köder. Ich hatte aus Deutschland keine Würmer mitgenommen, und ein Ausflug in den Wald mit Klappspaten im Anschlag brachte selbst nach einer halben Stunde und einem Dutzend Löchern nichts, außer angenehmen Torfgeruch in der Nase. Beim Zerlegen einer alten Baumwurzel finde ich zumindest zwei Engerlinge, einen hervorragenden, von vielen unterschätzten Fischköder, der reich an Proteinen ist und somit zur Not selbst ein nahrhafter Snack sein kann 🙂
Dann erinnerte ich mich an einen alten Anglertrick, bei dem man nachts mit Taschenlampe über den Rasen schleicht auf der Suche nach Tauwürmern. Diese Regenwurmart kommt in der Dunkelheit fast vollständig aus ihren Löchern gekrochen auf der Suche nach abgestorbenen Pflanzenteilen, welche sie zurück in ihre Erdgänge zieht, dort von Mikroorganismen vorverdauen lässt und schließlich selbst vertilgt, bevor die Würmer diese wieder als besten Humus ausscheiden. Das Problem ist nur, die Biester sind verdammt schnell. Quasi wahre Weltmeister im wieder Verschwinden. Ein kleines Abenteuer, welches mir in der vorletzten Nacht unseres Aufenthalts gerade recht kommt.
Die „Nacht“ zu erwischen ist gar nicht so leicht in Schweden, wo es selbst im Juni erst gegen 23 Uhr dunkel und gegen halb 3 Uhr schon wieder hell wird. Hoffentlich sehen mich die Nachbarn nicht oder halten mich für einen Einbrecher. Eine Stunde später schmerzt mir zwar das Kreuz vom halbgebückten Schleichen, aber die Würmerdose ist randvoll. Was für ein Erfolg. Zumindest, wenn man sich über so etwas freuen kann.
Es wurde Zeit, zur nächsten Unterkunft aufzubrechen. Fast schade, hatte sich Stockaryd uns doch von so vielfältiger Seite gezeigt. Aber der nächste Ort würde auch wunderschön werden, ganz sicher. Und wenn nicht, egal, dann der übernächste. Wir waren frei und konnten uns unser Glück ja selbst schmieden.
Zum Abschied fragt mich der Vermieter noch, ob ich auch angeln würde. Ich bin mir nicht ganz sicher, woher seine Vermutung rührte. Vielleicht hatte er mich doch beim Würmersammeln gesehen. Er erzählt mir von den vielen kleinen versteckten Waldseen, die es hier in der Nähe gäbe, die voller Forellen sein. Er zeigte mir Bilder seiner letzten Fänge und schwärmte in der zurückhaltenden Art eines echten Eingeschwedischten vor, was für Spaß wir zusammen beim gemeinsamen Fischen hätten haben können, hätte er das nur früher gewusst. Autsch. Quadratautsch.
Seine Frage, ob die Jungs denn auch reichlich deutsches Fernsehen geschaut hätten, und das realisierten Anne und ich erst just in diesem Augenblick, müssen wir verneinen. Sieh mal einer an. Hatten wir wohl doch genügend anderes zu tun. Erstaunlich im Nachhinein und schön.
Danke für den interessanten Bericht, ich lese gerne
mehr von euch und Schweden, wie ich es leider nicht erlebt habe.
Lieber Gruß an euch alle, Rosi