Auszeit

Von Reike

So eine Reise in die Ferne ist auch immer eine Reise ins Ich. Ich wusste, dass ich nach den Anstrengungen der letzten Jahre nicht einfach einen Schalter umlegen konnte. Und dass uns gerade die ersten Tage unserer Reise ihre ganz eigene Art Anstrengung abverlangen würden. Ich freute mich auf diese Anstrengung bereits Monate im Voraus. Noch mehr vielleicht, als auf das Reisen selbst.

Wir Deutschen lernen von Kindergarten an die Grundregeln der körperlichen Hygiene: Nach dem Pullern, vor dem Essen, Händewaschen nicht vergessen. Wir alle haben das wieder und wieder verinnerlicht. Aber die Grundregeln geistiger Hygiene lernen wir nicht. Weder im Kindergarten, noch in der Schule.

Ich habe während meiner Weltreise mit Anne 2007 unerwartet, und dann nochmals 2013 zwischen meiner bis dahin letzten Station als Arbeitnehmer und der Gründung eines eigenen Unternehmens, die Erfahrung gemacht, wie ungemein wertvoll so eine Auszeit-Reise sein kann. Und wie gestärkt man aus ihr hervorgehen kann, wenn man das durch Wegfall der Arbeit entstehende Vakuum nicht sofort mit den allzuleicht verfügbaren Ablenkungen in Social-Media-Aktivitäten, Smartphone-Spielen und Sonstigem kontaminiert, sondern das fast schmerzhafte Pulsieren des Wenigtuns kurz aushält und sich dann den schwierigen Fragen widmet.

So eine Reise gibt einem die Möglichkeit, innezuhalten und zu reflektieren. Bereits Jahre zurück liegende Erfahrungen kann man endlich verdauen statt verdrängen, bestimmte Aspekte in eine höhere Bewusstseinsebene heben und aus ihnen lernen. So eine Reise gibt einem auch die Möglichkeit, sich sehr intensiv mit dem eigenen Verständnis von Glück auseinanderzusetzen und die eigenen Erwartungen an die unmittelbare Zukunft zu rekalibrieren.

Bedeutet Glück für mich das selbe, was es vor einigen Jahren bedeutete? Als ich noch keine Ehe, keine Kinder, keine Firma, hatte? Was bedeutet es heute für mich? Habe ich mich im Leben so eingerichtet, dass ich Glück empfinde? Sollte ich etwas ändern – an äußeren Umständen oder innerer Haltung? Was erwarte ich von mir, meinem Leben, in den kommenden 3, 5 oder 10 Jahren? Schwierige Fragen, die einen schwierigen Antwortprozess anstoßen.

Ein bisschen fühlt es sich an wie Saubermachen. Das alles trägt ungemein zur geistigen Hygiene und Gesundheit bei. Bedauerlicherweise findet es in unserem modernen hektischen always-on, high-performance-Leben keinen rechten Platz. Und so habe ich mir zumindest vorgenommen, alle ca. 3-5 Jahre so eine kleine Auszeit zu nehmen. Meine letzte ist rund 6 Jahre her, und damit bin ich längst überfällig.

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