Västervik (22. bis 25.06.2020)
von Reike
Die Gefängnisnacht haben wir gut hinter uns gebracht und fahren nun direkt zu unserer Unterkunft für die kommenden drei Nächte, nur etwas außerhalb von Västervik in Småland. Der Weg führt uns erneut durch das Zentrum des kleinen Städtchens und wir sind froh, noch einige Tage hier bleiben zu können. In den Infobroschüren der gleichnamigen Region haben wir vieles gefunden, was wir gerne ausprobieren möchten und auch die kleine Küstenstadt selbst hat noch manche Ecke, die auf unsere Entdeckung wartet.
Der erste Eindruck unserer neuen Unterkunft ist sehr ernüchternd. Zwar werden wir durchaus nett empfangen, wenn auch etwas wortkarg, aber das sehen wir Ulf, seinerseits Tiefbauer, gerne nach, denn der Empfang ist herzlich. Leider ist die Unterkunft verdreckt. Gelinde gesagt.
Wir überlegen, ob wir direkt wieder ausziehen, zelten zum Beispiel. Aber das Hin und Her der letzten Tage hat unsere Abenteuerlust etwas gedrosselt und wir sind momentan froh, ein gesichertes Dach über dem Kopf zu haben. Außerdem wird uns persönliches Wohlfühl-Barometer – auch das haben wir mittlerweile gelernt – in erheblichem Maße durch die Wärme bestimmt, welche wir augenblicklich zu den Gastgebern empfinden. In diesem Fall haben wir fast etwas Mitleid. Wir sind die ersten AirBnB-Mieter überhaupt, und eigentlich wohnt der Sohn in der Garage, unserem neuen Domizil. Offenbar, so erfahren wir im Gespräch, haben Vater und Sohn den verwegenen Plan geschmiedet, sich das Geld zu teilen, sollte sich ein Tourist hier her verirren.
Anne und ich müssen uns bei der Inspektion der Garagenwohnung mehrfach ungläubig anschauen. Uns fehlen die Worte. Soetwas haben auch wir noch nicht erlebt.
Es gibt für uns nur einen Weg, wie wir uns hier die nächsten Tage wohl fühlen können. Wir müssen die Bude einer kurzen Intensivreinigung unterziehen, um sie zumindest auf unseren absoluten Minimumstandard hochzuhieven. Anne macht die Küche, ich das Bad, den Rest teilen wir uns irgendwie. Das Bedienen der Waschmaschine gestaltet sich besonders schwierig. Ulf schreibt über den AirBnB-Chat, man müsse „etwas kräftiger an der Schublade für das Waschmittel ziehen“. Keine Chance. Wir würden später am Abend nochmal eine Livedemonstration bekommen. Und tatsächlich, es klappt. Nur hat das maßgebliche Utensil zum Öffnen der Lade offenbar nicht für uns bereit gelegen. Ulf bringt sie mit, die Rohrzange.
Am nächsten Morgen gibt es Artischocke zum Frühstück. Frisch gestärkt machen wir unseren obligatorischen Erkundungsspaziergang der näheren Umgebung. Eigentlich machen wir den immer sofort, aber gestern hat uns der unerwartete Putzeinsatz davon abgehalten und wir waren schließlich recht plötzlich recht müde ins Bett gefallen in unseren Schlafzimmern mit 1,40m Stehhöhe und ohne öffenbare Fenster, dafür mit Klimaanlage.
Der Spaziergang beginnt genau wie der uns umgebende Wald direkt vor der Garagentür. Die schöne Vielfalt, mit der uns die Natur selbst in relativ strukturiert bebauten Gebieten begrüßt, entschädigt mich für manches. Anne entdeckt die ersten reifen Blaubeeren. Die Chancen steigen, dass sich meine Hoffnungen erfüllen und wir während unserer Schwedenreise noch zumindest die Anfänge der Beeren- und Pilzzeit mitnehmen können.
Unsere Unterkunft ist auf einer Art Halbinsel. Um uns herum ist also Wasser. Nur 5 Minuten Fußweg nach Norden wie nach Süden führen uns ans brackige Wasser der ostschwedischen Schärengärten. Vom Steg aus bewundere ich riesige Barsche. Leider ist hier Angeln nur für einheimische gestattet.
Für uns steht fest: wir wollen so wenig Zeit wie möglich in unserer Unterkunft verbringen. Diese, für uns ohnehin auf der Reise universell geltende Prämisse gilt hier nochmal verschärft. Und so planen wir für morgen ein Ausflug mit dem lokalen Postboot zu den Schären und eine Wanderung auf der Västervik gegenüberliegenden Insel Gränsö. Außerdem wollen wir nochmal in die Innenstadt von Västervik, die wir irgendwie schon in unser Herz geschlossen haben, mit ihren niedlich angelegten Gassen voll bunter Fischerhütten und dem Badeort ähnlichen Flair des zentralen Platzes am kleinen Stadthafen.
Aber heute wollen wir uns den winzigen Fischerort Händelöp anschauen. Er liegt nur 15 Autominuten südlich von Västervik und das Foto seiner Fischerhütten auf irgendeinem Landkärtchen hat uns gecatcht.
Wir sind sofort eingenommen von Händelöps Charme. Das Fischerdörfchen wirkt wie eine Mischung aus verlassen und prächtig herausgeputzt. Könnte ein Ort gleichzeitig eine Tracht sein, getragen von Tradition, Schmuck und Festlichkeit, Händelöp wäre eine solche. Sonnenschein und blauer Himmel schmeichelten den Booten und Hüttchen zusätzlich.
Tatsächlich treffen wir einen Fischer, der scheinbar einzigen Seele im ganzen Ort. Dieser, ganz verlegen ob solch plötzlichen Besuchs ausländischer Touristen, kann noch weniger englisch als wir schwedisch. Und so bleibt es bei einer sehr sympathischen Erklärung mit Händen und Füßen, dass er heute keinen Fisch mehr für uns hätte aber wir morgen wiederkommen können. Nach Fisch oder etwas anderem hatten wir zwar nicht gefragt, waren still aber dennoch dankbar für diesen netten Plausch und zeigten dies auch, mit kreisrundem Grinsen statt den angemessenen schwedischen Floskeln, aber immerhin einem kleinlaut-stolzen „tack så mycket“.
Je mehr Zeit wir in Västervik verbringen, desto mehr Möglichkeiten sehen wir von schönen Dingen, die man hier erleben kann. Västervik betreibt ein grandioses Regionalmarketing. Aber es ist auch einfach schön.
Zum Schluss noch ein paar Innenansichten von unserer Garagenwohnung:
Ist schön zu lesen, mit welcher Gelassenheit ihr auch Situationen meistert, die beim ersten Hinschauen eher für Verzweifelung taugen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass ihr überall durchkommt. Und nach der Putzschicht sieht doch alles ganz nett aus. Zumindest auf den Fotos…🌞