Letzte Station Torestorp (10. bis 13.08.2020)

von Reike

Das Wetter in Fjällbacka hat beste Laune, als wir unser Gepäck im Foki verstauen. Gut vom Frühstück gesättigt steht heute die Fahrt gen Süden, nach Torestorp an. Rund 200 km laut Navi, unsere üblichen, durch Neugierde getriebenen Schlenker hier und da nicht mitgerechnet. „Die angegebene Fahrtzeit x 2“ hat sich bei uns als brauchbare Formel etabliert.

Wähend Fjellbacka in mehrerlei Hinsicht für unsere Schwedenreise etwas besonderes war, ist Torestorp es in bestem Sinne nicht. So haben wir Schweden bislang kennengelernt. See an See, unterbrochen von felsigem Wald und – je weiter südlich man kommt – gelegentlichen Feldern. Dort, wo sich Siedlungen in die fichtengrüne Landschaft einsprenkeln, fahren wir durch aufgeräumte Kollagen aus schwedenroten Holzhäusern mit hübsch weiß kontrastierenden Konturen.

Unsere Unterkunft haben wir am Tag zuvor auf AirnBnB gebucht. Wir erreichen sie heute am frühen Nachmittag. Üppige Wildblumenwiesen, eingerahmt durch omnipräsente Farne, säumen die lange Schotterauffahrt. Ein Schild empfängt uns, welches Katze, Huhn, einen Spitz und ein kleines Kind zeigt und damit so originell eigentümlich ist, wie die Schweden selbst.

Schrittgeschwindigkeit ist nicht nur notwendig aus Respekt vor dem all dem Gekreuch und Gefleuch. Sie macht auch Spaß, denn es gibt viel zu gucken.

Ich nutze die letzen Sonnenstrahlen nach dem Auspacken unserer Sachen und hole die Angel raus. Beim zweiten Wurf schnappt sich ein Esox meinen Spinner. Ein kleiner, er darf wieder zurück ins braune Nass.

Der nächste Tag wartet schon früh mit hohen Temperaturen auf. Bestes Chill- und Badewetter – so hatten unsere Jungs es sich gewünscht. Der See ist kalt. Aber das war den beiden schon immer egal. Die Holzleiter wird heute ordentlich benutzt werden.

Anne will auch chillen. Für mich ist das heute nichts. Ich beginne bereits, den Verlust zum ständigen Zugang zur Natur zu spüren, der mit dem Ende unserer Reise kommen wird. Daher entscheide ich mich zu einem ausgedehnten Waldgang.

Unser Domizil liegt auf einer Landzunge. Von Ihr runter kommt man nur auf die harte Tour. Steile rutschige Anstiege, die nur an wenigen Stellen eine erfolgreiche Überquerung in Aussicht stellen, versperren den Weg ins Landesinnere. Jeder Schritt muss in diesem Gelände konzentriert erfolgen. Unter der Moosdecke befindet sich scharfkantig grobes Geröll mit tiefen Löchern. Dazwischen, ebenfalls von Moos überwuchert, verborgene Ritzen, oft metertief. Ich versuche, wo ich kann, Wildfährten zu folgen. Immer gelingt mir das nicht. Oft sind die Tritte zu schmal oder die Durchlasse zu niedrig.

Ein (vermutlich) Gefelderter Kartoffelbovist zeigt sich hier einmal in jung (links) und alt (rechts).

Oben angekommen entdecke ich Schlafplätze von Paarhufern, vermutlich Rotwild. Ob hier vor mir schonmal jemand war? Außer dem geschäftigen Treiben des Waldes ist es still. Weil die Mücken aktiv sind, trage ich lange Kleidung. Die körperliche Anstrengung in dieser Hitze treibt mir den Schweiß und lässt meine Kleidung unangenehm kleben, besonders dort, wo er sich mit Dreck vermischt.

Als die Landschaft plötzlich wieder abfällt, wird der Boden schnell matschig, die Vegetation noch saftiger und die Luft von Nässe gesättigt.

Ich komme auf eine Lichtung, in deren Mitte sich ein sumpfiger Weiher zieht. Es ist schwer, bis ans Ufer vorzudringen. Meine Schuhe schmatzen links und rechts und sind bald triefend nass. Ich finde einen Weg. Bei jedem Schritt sende ich eine Welle durch den Boden, alles um mich herum schwankt, wie auf einem Floß. Jeder Fußabdruck im matschig-moosigen Gras füllt sich sofort mit Wasser.

An der Wasserkante angekommen, blicke ich tief ins himmelblaue braun. Das Wasser scheint klar, aber ich sehe nichts. Unheimlich. Ich suche mir eine ca. 4 meter lange Birkenrute und führe sie senkrecht vor mir ins Wasser hinab. Nichts als Auftrieb. Ich staune, wie steil die Kante abfällt und führe die Rute dorthin, wo ich eine senkrechte Uferwand erwarte. Doch sie findet keinen Widerstand. Die Rute verschwindet unter mir. Ich stehe auf einer schwimmenden Torfinsel. Zu gern würde ich das Gewässer schnorchelt erkunden. Noch eine Weile blicke ich nach unten ins Nass. Wirklich unheimlich dieser Ort. Und schön.

Bedachten Schrittes suche ich mir einen Weg zurück auf festen Grund. Flockenstielige Hexenröhrlinge und andere Schönheiten lachen mir vom Waldboden zu. Gar nicht so leicht, den richtigen Weg zurück durch all das Schluchtenwirrwarr zu finden. Aber ich kann auf eine gute Orientierung vertrauen und stoße nach gut 30 Minuten schnurstracks auf unser Häuschen.

Die Sonne steht jetzt bereits tief. Noch bevor ich das Haus sehe, höre ich vergnügte Kinderstimmen und das Plantschen von wilden Wasserratten.

Ich freue mich, meine drei liebsten Menschen wiederzusehen und weiß, dass es mir schwer fallen wird, all die großartigen Eindrücke meines Ausflugs in Worte zu fassen. Stattdessen höre ich mir die Geschichten der Jungs an, wie sie das Grundstück für sich erkundet und den ganzen Nachmittag gebadet haben. Wie Anne ein tolles Buch gelesen und das süße Nichtstun genossen hat. Finde ich mindestens genauso schön. Da alle noch draußen sein wollen, aber die Jungs langsam aus dem Wasser raus sind, werfe ich noch ein Dutzend Mal die Angel aus und sichere uns drei herrliche Barsche zum Abendbrot. Zu viert eingekuschelt und K.O. vom Tag lassen wir den Abend ausklingen und sind alle sehr zufrieden.

Am letzten Tag machen wir einen kleinen Ausflug mit dem Auto. Vorher aber wollen wir das Angebot unserer Gastgeber annehmen und uns für den Abend die kleine Sauna und den schwedischen Pool vorservieren. Als wir klopfen wollen, entdecken wir viele Segelboote im Fenster ihres Wohnzimmers. Das maritime Ensemble lässt kurz so etwas wie Heimweh aufflackern.

Zurück vom Ausflug steht Feuerholz für den Badezuber bereit. Unser Gastgeber spricht weder englisch noch deutsch. Aber das hat uns noch nie davon abhalten können, freundliche Gesten mit Fremden auszutauschen. Er entzündet ein Feuer für den im Wasser stehenden Badetrog. 2 Finger hält unser Gastgeber hoch und zeigt dann auf seine Armbanduhr, die er nicht trägt. Anne macht sich mit den Jungs auf in die kleine Saune. Wenn sie mit saunieren fertig sind, müsste der Pool angewärmt sein. Ich begleite sie bis hin, gehe aber selbst nicht rein, weil ich mir unsicher bin, ob die frische Narbe an meinem Bein dies schon abkann.

Dafür genieße ich den Pool umso mehr, indem wir jetzt zu viert relaxen. Nante verschwindet kurz und kommt mit aufgeschnittenen Apfelstückchen zurück, die er nun abwechselnd mit Ivo in den Pool wirft, während der jeweils andere versucht, sie in der Luft mit dem Mund aufzufangen und ansonsten die Apfelspalten aus dem Wasser fischen muss. Kinder machen aus allem ein Spiel. Anne und ich werfen uns wortlos ein Lächeln zu.

Warum gibt es solche Ofenzuber nicht auch in Deutschland öfter? Eine Frage, die man sich bei vielen Dingen stellt, wenn man im Ausland reist. Und so nebenbei die vielen kleinen Unterschiede anderer Kulturen für sich herausarbeitet. Nach dreißig Minuten haben die Jungs genug vom Pool. Sie waren ohnehin die meiste Zeit des Tages Baden und haben schon Schwimmhäute zwischen den Fingern. Jetzt wollen sie nach drinnen, aufwärmen und spielen. Pünktlich zum Sonnenuntergang sind Anne und ich allein. Was für eine Aussicht.

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