Stockaryd Teil 1 (05. bis 10.06.2020)
von Reike
Freitag Regen, Samstag Regen, Sonntag Regen, Montag Regen, Dienstag Regen, Mittwoch bewölkt. Der Wetterbericht hatte seinen ganz eigenen Spaß mit uns. Womit er nicht rechnete: Für uns ist Wetter nur eine Frage der passenden Kleidung. Wer mehrere Wochen ins ländliche Schweden reist, ohne wasserdichte Kleidung im Gepäck, kann das durch guten Mobildatenempfang nur in den seltensten Fällen kompensieren.
Dennoch befanden wir, dass unsere nächste Station kein muchtiger kleiner Minibungalow sein sollte, der nach spätestens zwei Tagen Regen und dem ständigen Rein-Raus mit nassen Klamotten zwangsläufig einer ähnlich hohen Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sein würde, wie meine Handinnenflächen bei der Aussicht auf einen Angelnachmittag am einsamen See. Draußen nass und innen trocken hingegen ist kein Problem. Daher buchten wir unsere nächste AirBnB-Unterkunft etwas üppiger.
Unsere Entscheidung fiel auf ein schönes Schwedenhaus am Waldrand knapp außerhalb der Kleinstadt Stockaryd. Die Tür stand offen. Unsere Gastgeberin Elisabeth kündigte bereits bei der Buchung an, dass sie coronabedingt Kontakt weitgehend vermeiden würden, wir uns aber jederzeit per Nachricht an Sie wenden könnten.
Ich mochte das Haus sofort. Die Küche war gemütlicher als ich es auf den Fotos der AirBnB-Beschreibung in Erinnerung hatte, und den ziegelgemauerten Kamin hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Die Kinder entschieden direkt, dass die obere Etage mit dem großen Bett Ihr Reich sein würde. Der Umstand, dass dort auch der einzige Fernseher im Haus mit deutschsprachigem Fernseher stand, spielte dabei natürlich keine Rolle.
Kurz nach der Ankunft kamen die sehr freundlichen Vermieter, die auf dem gleichen, weitläufigen Grundstück das zweite von zwei Häusern bewohnten, dann doch kurz zu uns rüber. Ein älteres Ehepaar +70 Jahre, begrüßte uns schüchtern aber herzlich. 1,5m Abstand – versteht sich. Sie, gebürtige Schwedin, und er Österreicher, den seine Arbeit einst nach Schweden brachte. Damals war er Glasschleifer in Salzburg. Für einen Auftrag im südlichen Schweden brachte er sein Herz mit, und ließ es hier. Er bot uns an, uns „irgendwann die nächsten Tage“ eine Führung durch den angrenzenden Wald zu geben. Ein nettes Angebot, welches wir gerne annehmen wollten.
Regen setzte ein. Das Wetter war prädestiniert für viel Hausschule für die Kids. Zwar fing bei unserer Ankunft gegen 16 Uhr dem Kalender nach eigentlich gerade das Wochenende an, es war schließlich Freitag. Aber unsere Rechnung war, dass wenn wir bei dem Regenwetter ordentlich durchzögen mit Hausschule, könnten wir unser „Wochenende“ auf die nächsten sonnigen Tage verlegen. Ein Luxus, der uns im straffen Korsett ordentlicher Schulzeiten keineswegs beschert wäre. Da wir die letzten Tage unserer ersten Schwedenstation nicht dazu kamen, unsere Kinder etwas für die Hausschule machen zu lassen, „brauchten“ wir jetzt ohnehin gerade kein Wochenende.
Ich muss an dieser Stelle ein ganz großes Lob aussprechen. Ivo und Nante machen uns das Thema Hausschule ziemlich leicht. Sie sind fast immer diszipliniert an ihren Aufgaben dran, konzentriert und fleißig. Könnte auch anders laufen. Dafür sind Anne und ich sehr dankbar.
Nach fast doppelt so hohem Pensum wie an einem normalen Hausschultag, musste dann aber doch ein Break her. Also ab in die Regenklamotten und raus. Das wilde Schweden begann förmlich mit des Außenseite des Gartenzauns. Nur wenige Meter hinter dem Haus tauchte der Wald uns in eine faszinierende Märchenlandschaft. Der Boden war mit dickem, dichten Moos bewachsen, als hätte Gott gerade zu viel davon gehabt. Die schlanken, hohen Fichten waren mit Birken durchsprenkelt. Nicht aber weiß gescheckt in ihrer Erscheinung, wie wir es aus Deutschland gewohnt sind. Nahezu alle Oberflächen, die kein Moos trugen, waren mit Flechten überwuchert. Einige von Ihnen, die Bartflechten, sehen aus wie Batzen von Elchfell, welche die großen Tiere beim Abrubbeln an den niedrigen Ästen dort hinterlassen hätten (eine Geschichte, die bei den Kids übrigens gut ankam :)).
Dass der Grundwasserspiegel hier an vielen Orten auf dem gleichen Niveau wie der Erdboden liegt, ist eine Besonderheit der Umgebung. Eine Vielzahl von Hochmooren und Niedermooren bilden das größte zusammenhängende Moorgebiet Südschwedens, Teile davon den Store Mosse Nationalpark. Wasser von oben, Wasser von unten.
Die schweren grauen Wolken ergossen sich unaufhörlich, und ihre Wassermengen ließen die winzigen Rinnsäle, welche scheinbar willkürlich den Waldboden durchzogen, zu kleinen Bächlein anschwellen. Die Jungs hatten in den letzten Tagen vor der Abreise einen Faible entwickelt für die YouTube-Videos zweier Indonesien, die mit einfachsten Werkzeuge fantastische Häuser mit schönen Pools in den Dschungel bauen mit nichts als dem, was der Dschungel ihnen als Werkstoff bietet (beispielsweise hier). In Wandlitz mussten wir ihre Nachbaulust noch ausbremsen. Hier in Schweden stand ihr Entschluss fest, auch einen Pool in den Wald zu bauen. Beim Anblick der nun sprudelnden Wasserläufe dachten Sie sich wohl: Leichtes Spiel!
Im ersten Anlauf musste Sie jedoch feststellen, dass der äußerst vitale Waldboden mit bloßen Stöckern kaum zu bearbeiten war. Im zweiten Anlauf nahmen sie Werkzeuge aus unserer Unterkunft mit, was unser Vermieter netterweise erlaubte. Er sah wohl das Glitzern in den Augen der Jungs und sah sich augenblicklich in seine eigene Jungenzeit zurück versetzt. In jedem Falle eine großartige Beschäftigung bei der jetzigen Wetterlage.
Zurück in unserem schönen Haus schrieb Nante seinen ersten Blog in unser hübsches Reisetagebuch aus Papier, welches uns eine liebe Nachbarin für Schweden schenkte. Während Anne in Decken eingemurmelt im unteren Wohnzimmer einen englischen Film in Originalsprache für sich fand, entschied ich, im nahen Ort einkaufen zu gehen. Schnell noch zündete ich ihr ein Feuer an und fuhr los. Schon den Tag zuvor griffen wir uns im einzigen offensichtlichen Supermarkt des Dorfes schnell die nötigsten Dinge. Jetzt wollte ich uns Zutaten für ein warmes Abendmahl besorgen, und bei der Gelegenheit noch den nach Späti anmutenden Shop direkt auf der anderen Straßenseite des Supermarktes genauer unter die Lupe nehmen. Schon komisch, wenn zwei Lebensmittelläden Vis-a-vis stehen. Aber das Rätsel ließ sich schnell lösen: es handelte sich um einen arabischen Supermarkt, in dem es ausschließlich solche Zutaten gibt, welche Halāl sind. Spitzengelegenheit für den Einkauf von frischem Obst und ausgewählter Antipasti. Interessant, dass ich der einzige nicht-arabische Kunde hier zu sein schien.
Einiges musste ich aber doch im Laden gegenüber besorgen. Dies gab mir Gelegenheit für ein ausgibiges Gespräch mit dem Verkäufer, welcher der Marktleiter war. Und da der Laden zwar viermal so groß wie sein Gegenüber, ich aber derzeit der einzige Kunde, und dazu noch allein unterwegs war und somit auf niemanden hatte Rücksicht nehmen müssen, der geduldig auf mich zu warten hätte, wurde das Gespräch etwas länger. Über dies, und das, und natürlich auch über Corona. Wirklich neue Informationen tauschten wir zugegebener Weise nicht aus. Interessant schien mir aber der Umstand, dass ich ihm die Schweden – natürlich aus Sicht eines Deutschen – als besonnen beschrieb, als weniger politisch, mehr vernunftbasiert. Und er wiederum über meine Ansicht erstaunt war und die selbe Einschätzung eher den Deutschen attestiert.
Hallo nach Schweden,
euer Wetter ist inzwischen ja auch besser, laut Wetterbericht.
Ich bewundere eure spontane Unternehmungslust. Die damit verbundenen Erlebnisse werdet ihr alle vier bestimmt nie vergessen.
Einen lieben Gruß aus Pritzwalk