Mit dem Postboot in die Schärengärten (23.06.2020)

von Reike

Heute machen wir einen Ausflug in die Schärengärten vor Västervik. Kommerzielle Angebote gibt es einige. Wir entscheiden uns, mit einem einfachen Postboot mitzufahren und hoffen darauf, dort vier freie Plätze zu ergattern. Ein- und aussteigen kann man theoretisch überall entlang der Tour, wenn man weiß, wo diese langgeht, denn eine aktuelle Webseite gibt es nicht. Gespräche mit den Einheimischen helfen uns weiter. Wir fahren auf die Insel Gränsö, die nur 15 Autominuten entfernt ist, parken unseren Foki dort, kommen 2 Minuten vor Abfahrt des Bootes in einem winzigen Kanal an und haben direkt Glück mit den Plätzen.

Nach kurzer Schleichfahrt öffnet sich der Kanal in die Weite der Schärengärten und sofort erfasst uns eine selbstbewusste Windböhe. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint bei 22 Grad. Der Bootsmotor dreht auf und wir lieben diesen Ausflug schon jetzt.

Was uns erwartet, wissen wir nicht. Wir lassen alles auf uns zu kommen und genießen es, in diesen unverstellten Aspekt des Schärenlebens eintauchen zu können. Mit uns an Bord sind einige wenige Inselbewohner, die von Besorgungen auf dem Festland zu ihren Schäreninseln zurückkehren, und jede Menge Ladung.

So stellt sich unsere Bootstour auf dem Smartphone-Navi dar. Erfasst sind hier nur die großen Inseln.

Mit abschätzendem Blick und der Ruhe einer alten Ulme bewegt der Kapitän das rote Packeselboot sicher durch das Labyrinth kleiner und großer Inseln. Jederzeitige Aufmerksamkeit ist geboten, denn zu den sichtbaren Inseln über Wasser gesellen sich unzählige unter Wasser. Jede dieser Untiefen kann den Bootskörper aufreißen und zum Kentern bringen.

Ivo genießt sichtlich den Fahrtwind.

Wir bewundern die Vielfältigkeit der Schären. Einige von ihnen sind bewachsen, einige nicht, einige bewohnt, einige nicht. Fast alle haben Buchten und keine gleicht der anderen. Schären, das sind glazial überdeckte Felsformationen im Meer oder großen Seen. Diese alten Steininseln wurden während der letzten großen Eiszeit von kilometerdicken Gletscherschichten oben mehr oder weniger flach abgeschmirgelt. Bewaldete Schären nennt man eigentlich Holm. Aber wer will das schon so genau nehmen.

Erste Station: eine private Insel.

Es ist irgendwie witzig zu sehen, wie Postverteilung auf dem Wasser funktioniert. Ganz neu ist das Anne und mir nicht. Wir waren einmal knapp zwei Wochen in einer Nussschale auf dem Südpazifik unterwegs, um Diesel, Bauholz und Vieh auf entlegene Inseln der Fidschis zu bringen. Aber das hier ist schon noch ein wenig anders 🙂

Postbeauftragte

Teilweise gibt es „Postbeauftragte“ auf den Inseln, welche zu Fuß oder mit einem Quad die Post in Kisten vom anlandenden Postboot abholen und auf ihrer Insel weiter verteilen.

Unser Postboot.

Auf anderen Inseln verschwindet der Kapitän, der während der gesamten Fahrt mit niemandem ein Wort wechselt, für 5 oder 15 Minuten, ehe er wiederkehrt und erneut Fahrt zur nächsten Insel aufnimmt. Dann steuert er das Boot mal schnell über kurze, offene Wasserflächen, bald langsam durch schmale, windgeschützte Schilfpassagen, in denen die Hitze und allerlei Wasservögel brüten. Oft können wir weißen Sand unter dem Boot sichten, dann wieder nichts als blaue Tiefe. Elche, Bären und Rentiere sollen gelegentlich zwischen den Schären hin und her schwimmen. Wir entdecken heute leider keines. Die kleinen Fichtenwälder auf den platten Schären trotzen den Winden und stehen in vollem Saft. Um uns herum springen Fische, deren Flanken in der Sommersonne wie Signalspiegel glitzern.

Blick auf die Armaturen aus Perspektive des Bootskapitäns.

Die „Lieferstellen“, welche wir ansteuern, präsentieren sich uns höchst unterschiedlich. Einige sind nicht mehr als einfachste Hütten. Andere wirken wie Fischereibetriebe mit allerhand Fendern, Netzen und Tauen an weitläufig nach Teer duftenden Holzschuppen. Und wieder andere muten an, wie frisch aus einer dieser exklusiven Architektur-Zeitschriften herausgeschnitten, welche man manchmal auf Langstreckenflügen bekommt, wenn mehr Exemplare geliefert wurden, als 1.-Klasse-Gäste an Bord sind. Dann kommen braungebrannte Topmodels in Badewäsche mit dem obligatorischen Labrador an der Seite die prachtvollen Treppen aus ihren Luxusvillen hinunter zu einem der Landungsstege, die gerade nicht durch ein Schnellboot, Wasserski oder eine Segelyacht besetzt sind, und nehmen dem Postmann mit gut gelauntem Geplänkel und leichten Gesten die Post ab, während dieser mit stoischem Schweigen alle seine Kunden gleichbehandelt, als wäre das Teil eines ungeschriebenen Berufsethos.

Nach knapp vier Stunden ist die Tour vorbei und wir verliebt. Diese unfassbare Vielfalt an Formationen aus Stein, Blau und Grün. Diese riesigen Fische in glasklarem Wasser, diese Unmengen an Vogelarten, von denen ich viele zum ersten Mal sehe.

Die Schärengärten eröffnen uns eine ganz neue, uns vorher unbekannte Landschaftsart. Ich träume davon, hier mit endloser Zeit in einem kleinen Boot Tag für Tag Insel um Insel, Bucht um Bucht zu entdecken, zu angeln, zu baden, zu beobachten. Ich schreibe Freunden zu Hause, dass ich mit ihnen hierher zurückkehren und einen Wildnisausflug machen möchte. So viel Neues, so viele Glücksgefühle, so viel Stoff für Träume, alles in einem unscheinbaren Ausflug mit dem Postboot verpackt.

One comment on “Mit dem Postboot in die Schärengärten (23.06.2020)”

  1. Tante Rosi sagt:

    Bin schon mehrfach mit viel größeren Booten von der Ostsee kommend nach Stockholm und zurück gefahren. Zu verschiedenen Tageszeiten und bei unterschiedlichem Wetter. Ich kann eure Begeisterung total nachvollziehen. Die Gegend muß man lieben.
    Gruß von zu Hause, eure T. Rosi

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