Glück im Unglück – erstes Camping (25. bis 28.06.2020)
von Reike
Voller Vorfreude brechen wir aus Västervik auf. Nicht, weil uns der Abschied so leicht fällt – Västervik war eine tolle Stadt und wir haben längst nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen können, die sich uns hier boten. Vielmehr rührt unsere Vorfreude von unserem nächsten Aufenthalt. Wo das sein wird wissen wir noch nicht. Wir wollen wild zelten.
In Schweden hilft einem dabei das sogenannte Jedermannsrecht. Dies ist eine Besonderheit der drei nordischen Länder auf der skandinavischen Halbinsel. Norweger, Finnen und eben auch Schweden sind sehr naturverbunden. Sie lieben es, die Natur intensiv für sich zu nutzen und sprechen dieses Grundrecht auch allen anderen, einschließlich ausländischen Gästen zu. Im Geiste des Jedermannsrechts sollen alle Wälder, Berge, Seen, das Meer, Flüsse und so weiter allen zugänglich sein. Insbesondere ist es jedem erlaubt, eine Nacht an mehr oder weniger jedem Ort in der Natur zu übernachten. Nicht auf Wohngrundstücken anderer natürlich, durchaus aber auf privaten und öffentlichen Flächen, außerhalb der Sicht anderer. Ein Paar Regeln gibt es natürlich auch. So soll man alles so hinterlassen, wie man es vorgefunden hat und nichts zerstören. Das schließt landwirtschaftliche Nutzflächen genauso ein wie natürliche Felsformationen, auf denen man beispielsweise wegen der Gefahr der Rissbildung nicht Lagerfeuer bereiten darf. Weidevieh soll man nicht stören, darf aber durchaus über bewirtschaftete Weiden gehen und sogar mit dem Pkw fahren, wobei die Gatter peinlichst genau wieder zu verschließen sind. Einmal haben wir im Wald drei ausgebüchste Kühe gesehen, was dem Bauern natürlich ein großes Ärgernis ist und auch die Tiere gefährdet.
Als Minimalvorbereitung habe ich mir rund 10 geeignet scheinende Spots zuvor auf Google Maps im Satellitenmodus ausgespäht. Wir wollen auf gut Glück losfahren, einen Spot nach dem anderen abklappern, bis uns einer gefällt.
Alle Spots liegen in nördliche Richtung. Die Schärenküste gefällt uns sehr gut und so wollen wir das Wild-Zeltabenteuer in ähnlicher Landschaft starten. Nach kurzer Fahrtzeit verlassen wir die Provinz Småland und kommen nach Östergötland. Viele der von mir ausgesuchten Nahziele liegen in „Gryts Archipel“, einer Region, die eine Vielzahl von Schäreninseln umfasst, aber auch die landseitig zerklüftete Felsenküste.
Leider sind die Wege fast durchgehend unbefestigt und schwer zu befahren. Das kostet uns Zeit. Noch vor dem ersten Ziel stoßen wir auf ein Schild, welches uns suggeriert, dass eine Weiterfahrt verboten ist. Wir drehen, müssen rund 15 Kilometer zurück auf staubiger Schotterpiste und steuern Ziel No. 2 an. Diesmal werden wir durch Naturschutzschilder und einen Fallbaum gestoppt. No. 3 entpuppt sich auf den letzten Kilometern als Privatweg. Auch hier müssen wir aufgeben.
Es ist bereits viel später, als erhofft. Der Nachmittag nähert sich bereits dem Abend. Annes Nerven sind ziemlich angespannt. Sie hat sich das alles anders vorgestellt. Auch ich hätte unserer Familie gerne bereits ein schönes Plätzchen gefunden und bin selbst unzufrieden mit dem Fortschritt unserer Übernachtungsplatzsuche. Schließlich kommt es zum Streit. Ich schmeiße die selbst auferlegte Verantwortung für die Campingsuche hin.
Eine halbe Stunde später und mit nur halb abgekühlten Gemütern, denn die Zeit drängt, suchen wir einen nahegelegenen Zeltplatz auf. Nicht das, was wir mit unserem Abenteuer vom Gebrauch des Jedermann-Rechts im Sinn hatten, aber was solls. Doch auch hier fangen wir uns eine Niederlage ein – der Zeltplatz ist hoffnungslos ausgebucht. Derart abserviert sind wir frustiert und der Streit von vorhin beginnt erneut und eskaliert. Ich verlasse das Auto und setze mich einige hundert Meter weiter ans Wasser.
So recht finde ich nicht in meine Mitte zurück, buche jetzt aber übers Handy die erstbeste freie Unterkunft, egal was es ist. Zum einen will ich, dass die Suche für heute ein Ende hat. Zum anderen schöpfe ich Kraft aus meiner eigenen Genügsamkeit. Eine Nacht, in einer kleinen Campinghütte, 50 Euro.
Die Sonne steht bereits tief, als wir 30 Minuten später auf auf Yxningens Camping eintrudeln. Der Check-in ist problemlos. Der Platzwart – groß, blond, Mitte dreißig, so, wie man sich einen Schweden vorstellt, nur irgendwie offener und freundlicher.. sehr nett. Er witzelt über unsere Ultralastminutebuchung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man uns unsere Anspannung nicht anmerkt. Wir wahren den Schein und lächeln träge mit. Er bleibt tapfer, oder ist unverbesserlich gut gelaunt.
Die Hütte ist winzig. Auf 3,20×3,20 Meter befinden sich zwei Doppelstockbetten und eine Miniküche mit Kühlschrank, Mikrowelle, Herd und allem Drum und dran. Ein kleines Raumwunder.
Da der Tag nicht nur von erhitzten Gemütern geprägt war, sondern auch von brütendheißen Temperaturen, welche uns die Fahrt über schön durchgekocht haben und sich auch bis in den späten Abend unverändert halten, gehen die Jungs sofort baden.
Am nächsten Morgen sind Anne und ich vom gestrigen Streit noch etwas benommen. Keiner will das Buchungsthema ansprechen, allerdings müssen wir uns früher oder später Gedanken machen, denn für morgen Nacht haben wir noch keine Unterkunft. Da uns der Zeltplatz mit seiner schönen Steg- und Sprungturm-Badelandschaft gut gefällt, liegt der Entschluss nahe, hier zu bleiben.
Der nette Schwede an der Rezeption hat jedoch keine guten Nachrichten für uns, denn die Hütte ist ausgebucht. Auch alle anderen Hütten sind ausgebucht. Eigentlich sind alle Hütten den kompletten Sommer über ausgebucht, nur diese eine Hütte an diesem einen Tag war frei. Wir hatten großes Glück.
Da wir ohnehin vorhatten zu zelten, entscheiden wir uns kurzerhand, dann hier von der Hütte ins eigene Zelt umzuziehen. Stellplätze sind zur Genüge frei. Unser Zelt, ein Vaude Badawi Kuppelzelt für vier Personen, ist niegelnagelneu, was auch bedeutet, dass wir es nun erstmals aufstellen werden. Erstbenutzung! Wir sind jedoch zuversichtlich, denn wir haben ausgiebige Zelterfahrung. Der Aufbau gelingt uns problemlos.
Nach dem Zeltaufstellen leihen wir uns ein Kajak und wagen eine kleine Erkundungstour auf dem Yxningen. Wir werden diesen See in den kommenden Wochen sehr in unsere Herzen schließen.
Auf einer der kleinen Inseln setzen wir Ivo aus. Eine Mutprobe. Er soll diese allein überqueren. Wir holen ihn mit dem Kajak auf der anderen Seite wieder ab. Klingt vielleicht erstmal nicht so spannend. Aber nachdem wir uns vorher mit ungebremster Fantasie über die Bären ausließen, welche diese Insel immer wieder heimsuchten, ist ein bisschen Nervenkitzel doch mit am Start.
Die kommenden anderthalb Tage werden von Faulenzen und Baden dominiert. Unser Zelt gefällt uns, es ist schön. Auch die geflickte Luftmatratze hält und nach der ersten Nacht sind die Jungs sehr happy über ihr eigenes Zimmer im Zelt.
Wir essen auf dem Rasen und bei mehr als 30 Grad ist selbst jede Malzeit von einem Vorher- und einem Nachherbaden umgeben. Wobei unsere Mittage in der brütenden Hitze ohnehin ausfallen und durch ein mehr oder weniger unterbrechungsfreies Kekseessen aufgefangen werden.
Vor unserem Zelt verteilen sich Badehosen und Bikinis, Handtücher und Badematratzen. Im Gespräch mit Einheimischen erfahren wir, dass der nette Schwede an der Rezeption eigentlich Niederländer ist. Er zog mit Kind und Kegel von wenigen Jahren nach Schweden und dachte sich, mit einem Camping-Platz kann ich überall neu anfangen. Immer wieder faszinierend diese Niederländer 🙂
Der Abschied von diesem schönen See muss noch warten. Zwar verlassen wir den Zeltplatz nach insgesamt drei Nächten, jedoch haben wir eine AirBnB-Unterkunft gefunden, die ganz in der Nähe ist und ein spontaner Besuch vor Ort hat ergeben, dass durch einen Buchungsausfall das Häuschen sogar direkt für uns verfügbar wäre. Wir nehmen diese Möglichkeit dankbar an.
Darf ich euch mit meinen bescheidenen Schwedischkenntnissen weiterhelfen? Auf dem Schild steht „geöffnet“… „Wirklich jeden Tag“. Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen. Den Bericht lese ich später. Vielleicht seid ihr ja schon selbst dahinter gekommen? 😅