Malerisches Fjällbacka (09. bis 10.08.2020)

von Reike

Von gemischten Gefühlen geprägt, nimmt uns unser Foki zur vorletzten „echten“ Station dieser Schwedenreise mit. Jeder von uns vieren blickt schweigend aus seinem Fenster. Ich versuche, zu erfassen, ob ich wehmütig bin, oder die Vorfreude auf unser zu Hause in mir überwiegt, auf das eigene Bett, auf die eigene Toilette. Ich beschließe, die letzten Tagen möglichst bewusst zu erleben. Unweigerlich reflektiere ich in Gedanken über das bisher Erlebte. Mit gleichtönigem Rauschen schwirren tausende Fichten an uns vorbei, während die Allwetterreifen Kilometer um Kilometer schwedischen Straßenbelag fressen, 300 an der Zahl. Über weite Teile der Strecke streifen wir den Vänern, jenen größten der schwedischen Seen, der, groß wie ein Meer und modderig wie eine Pfütze, nie sehr gastlich auf uns wirkte. Doch bekommen wir ihn kaum zu sehen, weitere Fichten verstellen die Sicht. Die Landschaft ist uns bekannt. Nicht nur, weil wir einige Abschnitte der heutigen Route in unserem Zick-Zack-Kurs der letzten Wochen bereits befahren haben. Sondern weil das Landesinnere des südlichen Schwedens gleichförmig ist und nur wenig Abwechlsung bietet. Ozeane aus Fichtenwald, ab und an unterbrochen durch brüchige Felsen, einen durch Vollrohdung unansehnlichen Holzeinschlag, einen braunen See oder, rotweißes Holzhaus.

Wir hatten lange Familienrat gehalten, wohin uns die letzten Stationen führen sollten und waren uns schließlich einig geworden, noch einmal die Nordsee- bzw. Skagerrak-Küste zu besuchen. Und dass wir anschließend die letzte, noch folgende Station unweit des Ostseefährhafens ganz in den Süden legen würden. Anne hatte online von einem kleinen aber schönen Ort nicht weit südlich der norwegischen Grenze gelesen und uns dort ein AirBnB für die nächste Nacht gebucht.

Von malerischer Schönheit gezeichnet empfängt uns Fjällbacka mit prallem Sonnenschein auf lapislazuliblauem Himmel. Wenige Meter hinter dem Ortseingangsschild erreichen wir den Marktplatz des kleinen Ortes, der gleichzeitig die Adresse unsere Unterkunft ist. Uns umgeben Bauten, die an Seebäder erinnern, meerische Kurorte. Das Haus: eine dreistöckige Seebadvilla, deren untere Etage mit Wohnzimmer, Salon und Tafelraum allen Gästen gleichermaßen zur Verfügung steht. In der Ecke thront ein Klavier in weißem Glanzlack. Die beiden oberen Etagen beherbergen die Gästezimmer, so auch unseres. Die Stimmung des Hauses ist regelrecht herrschaftlich. Wir akklimatisieren uns noch immer umgeben von so viel Zivilisation, überrascht von der Anmut des Ortes. Ich blicke aus dem Fenster und sehe – nichts. Nebel, so dick wie Zuckerwatte, lässt nichts als dumpfes Licht in zarten Blau- und Rosatönen zu uns herein. War eben nicht noch strahlender Sonnenschein? Denke ich, während mich die Ankommroutine wieder packt und ich mich auf den Weg zum Auto begebe. Auf dem Marktplatz vor dem Haus spüre ich den Nebel. Ich trage kurze Hosen und ein Tshirt und bestaune das wabernde Grau, dass sich nass und kalt und äußerst plastisch um mich schmiegt. Keine dreißig Schritte später reißt der Nebel auf und keine dreißig Sekunden später hat sich der Nebel, nun kaum noch sichtbar, bis ans Ende der Gasse zurück gezogen. So muss sich Harry Potter nach dem Verschwinden der Dementoren gefühlt haben. Die wärmende Kraft der Sommersonne scheint sich nun bei mir für den unwirtlichen Empfang entschuldigen zu wollen. Verblüffend. Ich frage mich, welche Konstellation von Umständen solch bemerkenswerte Witterungserscheinungen erzeugt.

Uns allen knurrt schon der Magen und wir entschließen uns, Fjällbacka ein wenig zu erkunden, vielleicht in ein Restaurant in Hafennähe einzukehren. Dabei passieren wir Hinweisschilder zu einem nahen Wanderpfad, von dem ich bereits las, dass er über ein Hochplateau oberhalb des Ortes führen soll. Doch das heben wir uns für später auf. Jetzt wird erst einmal gegessen.

Beim Essen mit Blick auf die Boote, die sich im fast windstillen Hafen tummeln, werden wir erneut von Nebel überlaufen. Wieder stürzen die Temperaturen um mindestens 5 Grad innerhalb von Sekunden. Und wieder verschwindet der Nebel nach 5 Minuten genauso schnell, wie er gekommen war, erneut schönsten Sonnenschein hinterlassend.

Die Ortsgröße ist überschaubar, vielleicht 4 x 3 Straßen zwischen eine natürlich Bucht und ein hoch aufragendes Felsplateau eingepasst.

Das Wasser ist glasklar. Ohne Probleme kann man sechs, sieben Meter tief liegende Details erkennen. Die schiere Unmenge an kleinen Fischen und bunten Unterwasserpflanzen lässt alles wie ein riesiges Aquarium wirken.

Schnell holen die Jungs ihre Krabbenangeln aus unserem Zimmer. Mit dem Bauch auf den warmen Holzplanken liegend steht nur ihr Kopf über und hängt in Richtung Wasser, wo sie das bunte Ringen um ihre Köder mit unendlicher Ausdauer beobachten.

Anne und ich ströpern ein wenig in dem weitläufigen Netz aus Bootssteegen umher, mal zu zweit, mal jeder für sich. Ich entdecke einen riesigen Schwarm Makrelen. Nur eine Stegreihe weiter, von einem dickbäuchigen Fischtrawler geschützt, verweilt ein Schwarm mit tausenden kleinen Fischen. Mit der bloßen Hand fange ich einen aus dem Wasser. Es ist ein winziger Hering, die Lieblingsbeute hungriger Makrelen.

Ich nehme den Fisch behutsam in die Hand und rufe die Jungs zu mir, zeige Ihnen den Schwarm der raubenden Makrelen und entlasse den kleinen Hering zurück in die Freiheit, die nur kurz währen wird. Mit offenen Augen und Mündern verfolgen die Jungs den Wettlauf, der jäh endet.

Ich weiß nicht, ob es das Meer ist, die Boote oder der Sonnenschein. Vielleicht ist es der Flair dieses Ortes. Vielleicht ist es, weil wir endlich mal wieder unter Menschen sind. Oder doch auch ein wenig der Umstand, dass der Rückwärtszähler unserer Tage in Schweden fast auf Null angekommen ist. Aber die Stimmung bei uns vieren ist sehr ausgelassen. Wir sind alle sehr entspannt und genießen das Wetter, das draußen sein.

Nachdem wir noch ein wenig Zeit im Hafen vertrödeln, machen wir uns zurück zu dem Restaurant, in dessen unmittelbarer Nähe wir die Hinweisschilder zu dem Wanderpfad entdeckt hatten. Das wollen wir heute unbedingt noch machen und ich freue mich, dass sich auch die Jungs enthusiastisch dafür aussprechen.

An der einzigen Hauptstraße liegt ein Kinderspielplatz und hinter dieser ragt aus saftigem Grün ein steinernes Tor, behauen mit altertümlichen Schriftzeichen. Der Eingang zu unserer Wanderstrecke – den Kuststigen Bohuslän.

Wir gewinnen rasch an Höhe. Der Blick wird mit jedem Höhenmeter schöner und schöner.

Für die Jungs ist dies das reinste Kletterparadies. Während Anne und ich unsere Füße konzentriert über die großen und kleinen Felsblöcke navigieren, klettern Ivo und Nante behände links und rechts soweit sie können an den Wänden empor.

Besonders beendruckt uns ein superenge Schlucht, in die vor vielleicht tausenden Jahren gigantische Felsbrocken gestürzt und kurz vor ihrem Aufschlag von den enger werdenden Kluftwänden aufgefangen worden sind. Nun hängen sie mahnend in fünf Meter Höhe fest. Hoffentlich.

Unter uns fließt Wasser. Man kann es nicht sehen. Nur hören. Und riechen.

Fjällbacka ist wirklich ein toller Ort. Kaum zu glauben, dass dieser Wanderpfad quasi einen Steinwurf vom Marktplatz beginnt. Welch Juwel die Bewohner hier vor ihrer Haustür haben.

Nur noch wenige Meter auf Holzstufen entlang der 90 Grad steilen Wand bis nach oben. Der Ausblick ist schon hier umwerfend. Die vielen Inseln, die roten, weißen und gelben Häuser, das kräftige Grün der Bäume, das Blau des Meeres, das Braun der Felsen. Alles scheint in einer farblichen Harmonie miteinander zu stehen.

Was uns oben erwartet, überrascht mich dann doch. Eine nahezu ebene Fläche hier oben mit Bergtundra.

In den natürlichen Becken des Felsens haben sich Niederschläge gesammelt und im Laufe der Zeit trotz relativ lebensfeindlicher Bedingungen Inselbiotope entwickelt.

Winzige Hochmoore, in denen nicht nur der Wacholder schmuckvolle seine Früchte zur Reife treibt.

Der Weg ist nicht befestigt und man muss schon genau hinschauen, will man eines der kleinen Hinweisschilder finden, die einem sagen: Ja, Du bist noch richtig.

Plötzlich geht es wieder los. Ich merke es diesmal am Temperaturabfall noch ein oder zwei Minuten, bevor der Nebel da ist. Jetzt müssen wir zusammen bleiben, denn wir kennen uns hier oben überhaupt nicht aus und mit den abrupten, steil abfallenden Rändern des Plateaus sollten wir uns bei derart geringer Sichtweite nicht verlieren. Lautlos verschluckt der Nebel alles. Selbst die eigenen Rufe werden jetzt seltsam dumpf und reichen nur noch kurz. Die Sichtweite sinkt auf 5 Meter. Leider nicht fotografierbar.

Während der Nebel sich langsam schon wieder lichtet, schaffen wir es sicher zurück zum Abstieg und genießen nun einfach die mystische Stimmung und den Blick auf ein Spektakel aus Licht und Schatten.

Konnten wir beim Aufstieg unsere Blicke noch in weite Ferne schweifen lassen, sind jetzt nur noch die nähesten Häuserspitzen zu erkennen.

In der engen Schlucht ist es jetzt leise wie in einem Tonaufnahmestudio.

Zurück am Ausgang der Schlucht empfängt uns Fjällbacka eingelullt in pastellfarbene Nässe.

Es fühlt sich an wie später Abend, und mein Zeitgefühl leidet unter Desorientierung. Doch es dauert nicht lange, und der Nebel verschwindet mehr und mehr.

Jetzt können wir doch noch ein Bild am steinernen Torbogen machen, was wir bei Aufstieg vergessen hatten und beim Abstieg des Nebels wegen nicht möglich war.

Der Blick durch das Kellerfenster in die Küche eines Restaurants macht uns erneut hungrig. Zweimal an einem Tag in einer Gaststätte essen? Ach was solls! Heute gönnen wir uns.

Der Abend in Fjällbacka geht so freundlich zu Ende, wie der kleine Hafenort uns empfangen hatte. Meine innere Uhr schüttelt ihre restliche Verwirrtheit ab. Kaum zu glauben, dass wir heute erst angekommen sind. Was für ein schöner Tag.

Ausgepowert, satt und zufrieden schlendern wir ganz entspannt zurück in unsere Unterkunft. Fjällbacka. Ein überaus bemerkenswerter Ort. Wir werden Dich sicherlich weiter empfehlen.

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