Im Vandrarhem am Götakanal (11. bis 12.07.2020)
von Reike
Der Abschied von Thors und Susannes Vikerabo Gård und dem wundervollen Yxningen fiel uns allen schwer. Aber jedem Aufbruch liegt ein eigener Zauber inne.
Es war bislang unser längster Aufenthalt an einem Ort. So vieles gibt es noch zu entdecken und zu lernen.
Die Eltern einer Familie, welche wir im Gefängnis in Västervik kennenlernten – sie war Finnin, er Österreicher, und da man sich nicht auf eines der Ursprungsländer der beiden als gemeinsame Heimat hat einigen können, wählte man schließlich Schweden – erzählten uns von der schönen Westküste. Sanfte Hügel sollen das Land prägen, weniger rau als der Osten. Und die Schärengärten seien mindestens ebenso schön wie die der Ostsee. Also beschlossen wir, nochmal die Seite zu wechseln.
Unser Weg von Ost nach West führt uns am Götakanal entlang, einem künstlichen Wasserweg, welcher Ostsee und Nordsee (bzw. Kattegat) miteinander verbindet. Auf seinem Weg überwindet der Kanal fast einhundert Höhenmeter Unterschied und durchläuft hierbei einige der größten Seen Schwedens.
In Hajstorp machen wir unsere erste Erfahrung mit schwedischen Vandrarhemen, also Herbergen. Die Herbergsanlage direkt am Götakanal ist wie eine Siedlung angelegt, und ich frage mich, ob hier ein verlassenes Dorf gekauft und in eine Herberge umgewandelt worden ist. Möglich scheint es mir, und eine witzige Idee auch.
Wir bekommen ein Upgrade angeboten von einem kleinen Cottage ohne Toilette in eines der Zimmer im Gruppenhaus mit vier Gruppenzimmern, in dem zumindest geteilte Badezimmer vorhanden sind.
Gleichmütig willigen wir ein und ziehen wenige Minuten später in unser Zimmer. Zu unserer Überraschung gibt es hier nur zwei Betten, aber wenigstens zusätzlich eine ausklappbare Schlafcouch. Bettzeug ist aber nur für drei vorhanden und die Rezeption ist bereits geschlossen. Kein Problem, wir haben ja Schlafsäcke dabei.
Michael und Anja sitzen gemütlich am Abendbrotstisch der gut eingerichteten Küche, welche wir auf dem Weg in unser Zimmer im oberen Stockwerk zu durchqueren haben, und bei fast jedem Gang verfangen wir uns in ein Pläuschchen. Die beiden beeindrucken uns. Das Ehepar von Mitte 70 Jahren ist mit Auto und Fahrrädern unterwegs, um das Land zu erkunden. Sie suchen sich interessante Tagestouren, stellen dort ihren Pkw ab und starten mit ihren Rädern. Übernachtet wird in Vandrarhemen.
Erst nach gut einer halben Stunde guter englischer Konversation bemerken wir, dass wir alle Deutsche sind und lachen herzlich. Es sind mit die ersten Deutschen, die wir hier in Schweden treffen. Vor Corona haben sie keine Angst. Man muss sich ja nicht im großen Pulk aufhalten, sagen sie.
Die beiden sind Kölner Frohnaturen, erzählen uns von ihren langjährigen schwedischen Freundschaften, vor allem zu zwei Paaren, bei denen sich kürzlich die Frauen ineinander verliebt und ihre Gatten abgeschossen haben. Immer wieder lachen beide über ihre eigenen Anekdoten. Gerade kommen sie von einem Fest. Eine der beiden befreundeten Schwedinnen sei 80 geworden. Ihr schwuler Sohn hätte seinen brasilianischen Verlobten mitgebracht, und der seine Gitarre. Zusammen feierten und tranken und tanzten alle bis tief in die Nacht.
Da Michael und Anja aus eben jener Richtung kommen, in die wir morgen aufbrechen wollen, holen wir uns noch den einen oder anderen Tipp ab, bevor sich die zwei gegen 21 Uhr ins Bett verabschieden. Nach und nach füllen sich auch die übrigen beiden Zimmer. Das Haus ist nun voll belegt.
Es ist bereits nach 22 Uhr und langsam setzt die Dämmerung ein. Wir haben ein wenig ein schlechtes Gewissen, als wir später noch zu viert abendbroten und dank des hellhörigen Hauses vermutlich sämtliche Bewohner wachhalten.
Vorsorglich etwas erschöpft von unserem morgigen Vorhaben sinken wir an diesem Tag nach einem kurzen Verdauungsspaziergang entlang des Kanals schnell in tiefen Schlaf.