Am gigantischen Vänern (12. bis 13.07.2020)

von Reike

Am nächsten Morgen heißt es Fahrradtaschen packen. Es ist nicht unsere erste Fahrradtour zu viert, aber die erste in Schweden. Wir sind alle aufgeregt. An vieles müssen wir jedoch nicht denken. Klamotten für nur eine Übernachtung, Fahrradpannenzeug, Schlafsäcke, Marschverpflegung – mehr nicht. Sobald die Taschen gepackt sind, räumen wir alles andere in den Kofferraum unseres Fokis, der die kommende Nacht alleine hier verbringen wird. Reichlich gestärkt und durch das beiläufige Schleusen von Booten nur wenige Meter neben unserem Frühstückstisch bestens unterhalten

Die Fahrt entlang dem Götakanal ist schön. Das herrliche Bergab wird von störrischem Gegenwind ausgeglichen. Wir passieren zahlreiche Schleusen und beobachten das bunte Treiben an jedem einzelnen Schleuserhaus, welche durch kleine Café und Kuchenangebote überschaubare Besuchermengen anlocken.

Rasch selbst gebaute Boote aus Borke, einem Stock und einem Blatt begleiten traditionell überall Schleusvorgänge.

Da nur die notwendigste Besatzung beim Schleusvorgang selbst an Bord der Boote verbleiben darf, werden das Öffnen und Schließen der meterhohen Fichtenholzschleustore meist von aufgeregt springenden Kindern in Schwimmwesten an den Kanten der Wasserbecken begleitet. Einige von ihnen erkennen wir wieder, weil wir ihnen beim Frühstück zugewunken hatten. Fahrradfahren ist hier also schneller.

Eine Drehbrücke erweckt meine Aufmerksamkeit. Es handelt sich nicht um eine Fußgänger oder eine Autobrücke, sondern eine Bahnbrücke. Ihr Normalzustand schein „offen“ zu sein. Vermutlich wird sie automatisch und nur zu Zeiten geschlossen, an denen planmäßig ein Zug passiert. Na hoffentlich verhält es sich mit schwedischen Zügen wir mit deutschen und ein Zufrühkommen ist ausgeschlossen.

Derart in meiner Radfahrt verlangsamt fällt mir ein reichlich behangener Himbeerstrauch auf. Wir haben, unseren Fahrtschwung ausnutzend, den Bahndamm bereits überquert und so bitte ich die anderen drei, kurz auf mich zu warten.

Als ich zurück kehre, sind Ivo und Nante mit ihren Oberkörpern in einen Sauerkirschbaum verschwunden, welcher zuerst nur Schatten spenden sollte, bevor er den beiden seine bereits tiefroten Früchte offenbarte.

Kurz darauf sind die Jungs erschöpft und die Fragen nach der nächsten Pause häufen sich. Scheint, wir sind nicht mehr so ganz in Form. Wir starten die Suche nach einem geeigneten Pausenspot auf unserer Strecke. Doch die alle paar hundert Meter aufgestellten hölzernen Picknickbänke sind alle bereits belegt durch andere Radreisende.

Schließlich erinnern wir uns der mitreisenden Picknick-Decke und erweitern unser Suchraster auf kleine Wiesen und werden unlängst neben einer kleinen Schiebebrücke mit Steg fündig. Tuk-Salzkekse, Haribo, Minisalamis und Plattpfirsiche schlemmen wir genüßlich.

Und während Anne und ich noch mit Essen beschäftigt sind, können die Jungs dem einladenden Nass nicht länger widerstehen. Ein prüfender Blick von Papa gibt die vermeintliche Badestelle frei.

Unsere Tagesstrecke ist nur 21 Kilometer lang. Nach 15 davon machen wir einen ausgiebigen Zwischenhalt im kleinen Küstenörtchen Sjötorp. Auch hier fällt uns die große Anzahl US-amerikanischer Oldtimer auf, die uns schon während unserer gesamten Schwedenreise begegnen. Wir fühlen uns ein wenig an unsere Kubareise 2019 erinnert.

Es ist sonnig und Wochenende, entsprechend quirlig ist es in dem hübsch angelegten Ort. Eispause. Boote gucken. Sonne genießen.

Nach weiteren nur 15 Minuten sind wir am Ziel – Askeviks Camping. Anne hat uns hier eine kleine Hütte gebucht. Das kleine Raumwunder erinnert mich an eine alte Renault Clio Werbung – von innen größer als von außen. Wir haben direkten Blick auf den Väner und sind den Windmassen ungebremst ausgeliefert, welche auf endlosen Wasserflächen freies Spiel haben und heute anlandig aufgelegt sind. Uns stört das nicht, sondern wir genießen es eher. Gelegentliches Möwengeschrei löst vereinzelt Heimatgefühle in uns aus.

Die schiere Größe der schwedischen Seen fasziniert mich immer wieder. Sicher sind unter den rund 96.000 Seen auch kleine Weiher und Tümpel. Aber es geschieht verhältnismäßig häufig, dass ich auf dem Navi in wenigen Kilometern einen vermeintlich kleinen See sich nähern sehe, der sich dann als riesiges Gewässer entpuppt und mich in Staunen versetzt.

Jetzt stehen wir hier am Vänern. Es ist Schwedens größter See und Nr. 3 in der EU. Das Ufer der anderen Seite ist mit dem bloßen Auge nicht zu sehen, wenngleich beste Sicht herrscht. Wer den Bodensee für groß hält, halte sich fest: der Vänern besitzt die mehr als zehnfache Wasseroberfläche. Ich meine – zehnfach. Das ist eine Ansage. Das ganze Saarland würde hier mehr als zwei Mal hineinpassen.

Entstanden ist auch er am Ende der letzten Eiszeit. Als die skandinavische Landmasse, erleichtern um die kilometerdicke Eisschicht, sich zu heben begann, kam eine Landschaft zum Vorschein, welche mit der Alten wenig gemein hatte. Zu jener Zeit war der Vänern noch eine Meeresbucht. Mit dem Erheben des Erdgrunds wurde diese bald abgeschnitten, hinterließt im Vänern dafür jedoch eine Fauna, deren maritimer Ursprung nicht zu verleugnen ist. Und so findet man noch heute beispielsweise klassische Meeresfischarte im Vänern, welche sich im Laufe der Zeit angepasst haben.

Es ist nicht sonderlich warm, und das Wasser hat keinen Viertelmeter Sichttiefe. Eine ziemliche Brühe, könnte man sagen. Aber das stört unsere Jungs nicht im geringsten. Schon sind sie nackig und mit Handtuch und Badehose unterm Arm in Laufschritt richtung Wasser unterwegs.

Das Restaurant am Campingplatz hat wegen der durch Corona geschwächten Saison zu. Aber die Rezeption verkauft Knäckebrot, Guavendicksaft und Dosengulasch. Unser Abendbrot und Frühstück sind gesichert.

Wir liegen schon fast im Bett, da bekommt Anne einen Anruf einer schwedischen Rufnummer und geht ran. Marianna, die Betreiberin des Vandrarhems, ist dran. Wir hätten vergessen, unseren Zimmerschlüssel abzugeben. Huch! Gott sei Dank müssen wir morgen ohnehin dorthin zurück und Marianna genügt das vollkommen.

Am nächsten morgen macht Anne sich allein mit dem Fahrrad auf dem Rückweg, wohlwissend, dass es nun bergauf geht, und wohlhoffend, dass der Wind sich nicht gedreht hat. Eine kurze Whatsapp bei Kaffee und Kuchen bestätigt Reike, dass Anne zurück im Vandrarhem ist. Wir verabreden uns gegen Mittag, plus minus 2 Stunden, in Sjötorp, sodass ich den Vormittag allein mit den Jungs verbringe. Nicht ganz in Sjötorp angelangt, begegnet Anne uns schon im Foki. Am Rand der Seitenstraße packen wir unsere Sachen um, schnallen die Räder aufs Dach und ab gehts weiter Richtung Westküste.

One comment on “Am gigantischen Vänern (12. bis 13.07.2020)”

  1. Oma Edith sagt:

    Hallo ihr Schwedenbummler, ich finde, ihr seid ein gutes und eingespieltes Viererteam. Das klappt doch alles. Eure Unterkünfte sind herrlich. Der große Vänernsee ist ja bekannt für legendäre Fahrradtouren, viele prominente Menschen und jetzt ihr haben ihn umrundet oder versucht. Bleibt schön gesund und bis zum Wiedersehen.Wann kommt ihr eigentlich?

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