Leksand, Heimat des Knäckebrots (01. bis 03.08.2020)

von Reike

Ein junger Kiefernsteinpilz beißt sich durch die Schotterdecke.

Unser Abschied vom Branäs, dem südlichsten Skigebiet Schwedens, kommt nicht ganz ohne die Frage, wie es dort wohl im Winter sei, wenn alle schroffen Berggipfel und Gebirgsmoore unter gleichmäßigem Weiß liegen. Jetzt aber fahren wir zunächst mal bestem Wetter entgegen. Um mehr als 10 Grad soll das Thermometer in den kommenden Stunden ansteigen. Während Rostock und Berlin schon seit Tagen von mehr als 30 Grad berichten, hatten wir vier dick in Jacken gepackt Mühe, uns bei 15 Grad das Sommergefühl so recht in Erinnerung zu rufen. Schon nach 50 der knapp 250 anstehenden Kilometer wird es merklich milder. Die ersten Pullies fliegen in den Kofferraum. Und bei der nächsten Pullerpause tauschen wir lange Jeans gegen Rock und Shorts.

Meine großen Hände wirken kindlich gegen den Hut dieser Birkenrotkappe.

Fast wäre ich beim Aussteigen an unserem Rastplatz über die vielen Pilze gestolpert. Im Umkreis von 10 Metern ums Auto herum scheint mein halbes Pilzbuch abgebildet mit den prächtigsten Exemplaren. Einige dieser nehmen wir mit. Und es wären mehr geworden, aber wir wissen nicht, wohin. Denn jede Ecke des Fahrzeuginnenraums ist bereits überbucht.

Mit dem Gewicht dieses stattlichen Fichtensteinpilzes könnte man ein Partyzelt gegen Sturm verankern.

Unser nächstes Ziel heißt Leksand. Beim Blick auf unsere Wegzehrung stellen wir im Auto mit Erstaunen fest, dass auch das Knäckebrot, von dem wir seit Tagen schwärmen und dass sich zu unserem Lieblingsknäckebrot gemausert hat, die Marke „Leksand“ trägt. Unsere Vorfreude auf den nächsten Halt scheint das noch zu steigern. Überhaupt sind wir sehr fröhlich. Das liegt zum einen an den Sonnenstrahlen und den hohen Temperaturen, die wir sehr vermisst hatten. Zum anderen treibt uns die Vorfreude an, dass wir in unser übernächsten Location auf einen guten Freund treffen werden, der sich die Mühe macht, uns in Schweden zu besuchen. Das freut uns ungemein.

Unser Weg nach Leksand führt nur knapp an Mora vorbei. Diese schwedische Kleinstadt im wilden Dalarna ist bekannt für ihre lange Tradition als Messerherkunftsort mit Bekanntheit weit über die schwedischen Grenzen hinaus. Morakniv ist eine Marke, die unter Handwerkern wie Outdoorfans überall auf der Welt bekannt ist. Die meist quietschebunten Kunststoffgriffe und der schnitthaltige Karbonstahl machen aus ihnen zuverlässige Arbeitsmesser. Da Mora quasi fast auf dem Weg liegt und es nur noch 50 Kilometer bis Leksand sind, geben Anne und die Jungs meinem Wunsch nach und stimmen einem Abstecher zu.

Mora entpuppt sich als sehr charmanter Ort. Direkt neben einer riesigen hölzernen Kirche in klassischem Schwedenrot finden wir im scheinbaren Ortskern einen Parkplatz und stellen erfreut fest, dass hier auch die Flaniermeile von Mora beginnt.

Unsere Kids hatten was Spielzeug angeht relativ wenig Abwechslung auf unserer Reise, denn sie können nur mit dem spielen, was wir eingepackt haben. Da wird ein Spielzeugladen als erste Anlaufstation in Mora für sie schnell zum Himmel auf Erden. Eifrig wird jedes Spielzeug von schwedischen Kronen in Euro umgerechnet, außer vielleicht die Puppen. Tiefsinnige Diskussionen um die optimale Verwendung ihres Feriengeldes hält die zwei auf Trab. Am Ende können sie sich nicht recht entscheiden. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Mit einem kleinen Beutel Murmeln verlassen wir erschöpft aber glücklich den Laden.

Wir erkunden noch dieses und jenes Geschäft. Es gibt allerhand zu entdecken. Da wir in Schweden fast nur unter uns sind, fühlt sich dieser Ausflug in eine echte Stadt für uns alle auf ganz eigene Weise erholsam an. Wir genießen die niedlich hergemachte Einkaufsstraße, das Wetter, die Wasserspiele der Springbrunnen, die Unbeschwertheit. Zwischendurch holen wir uns Stärkung an einer gehörigen Portion Eis.

Gegen einen kleinen Obolus gibt es auch Tipps für Erwachsene

Als die Geschäfte etwas überraschend alle gleichzeitig zu schließen beginnen, heißt es auch für uns Abflug. Wir setzen unsere Fahrt fort und nehmen die letzten Kilometer nach Leksand in Angriff.

Zwei Rotkappen lachen mich an und kommen spontan mit.

Ich zwinge meinen Blick auf die Straße, kann aber nicht anders, als immer wieder aus dem Auto heraus überall Pilze zu sehen. Pilze haben das gute Wetter kommen sehen und mit der einbrechenden Hitzewelle ist auch ihre eigene Hochsaison eingeläutet.

In einem kleinen Dorf biegen wir die schlecht ausgeschilderten Straßen eher nach Bauchgefühl ab und landen schließlich irgendwie vor dem richtigen Haus. Es sind 27 Grad. Unsere Vermieter sollen wir bei Ankunft anrufen und erreichen diese auch sofort. Sie kommen erst morgen wieder, heute seien sie noch bei Freunden. Der Schlüssel liege unter der Matte, wir sollen uns wie zu Hause fühlen.

Wie unmittelbar nach jeder Ankunft in einer neuen Unterkunft erkunden wir zunächst alles. Wir haben eine Einliegerwohnung im vom Vermieter selbst genutzten Haus per AirBnB gebucht. Das Haus steht auf einem herrlichen, zum See abfallenden, frisch gemähten Grundstück. Einige Ausstattungsdetails passen noch nicht, aber wir sind die ersten, welche diesen Teil des Hauses als AirBnB-Gäste bewohnen und nehmen es leicht. Im Gegenteil: Wir können kaum fassen, dass diese riesige, umlaufende Holzterrasse in den kommenden zwei Tagen uns gehören soll.

Das leuchtend gelbe Fleisch der Sandröhrlinge kontrastiert schön zum schwärzenden Grau der Birken-Rotkappen mit ihren kräftig rotbraunen Hüten.

Essen wollen wir natürlich draußen, denn die hohen Temperaturen halten sich noch, wenngleich es in der Nacht nochmal unterhalb der 10-Grad-Grenze gehen soll. Bei den schönen Pilzfunden der Herfahrt entscheiden wir uns für eine Edelpilzpizza nach Art des Hauses.

Diese in einiger Entfernung vom Haupthaus stehenden Stelzenhäuser sind sehr typisch für Dalarna. Hier wurde früher Essen aufbewahrt. Zum einen war dieses so von der Wärme des Wohnhauses geschützt. Zum anderen kommt es bei den vielen Bärenbesuchen durch die Abseitserrichtung zu weniger unerwünschten Intermezzi von Mensch und Tier. Heute schlafen hier Gäste. Oder der Sohn, wie wir später erfahren, wenn er Ruhe von seiner Familie haben möchte.

Wo man auch hinlangt: Es ist „schon“ die Zeit der Pilze und „noch“ die Zeit der Beeren. Skandinaviens Sommer sind wunderbar. Auch auf dem schönen Wassergrundstück stehen einige Himbeersträucher. Die Vermieter bitten uns, soviel zu ernten, wie wir können, weil es doch zu schade sei, die Früchte alle verderben zu lassen. Am nächsten morgen besteht mein Frühstück aus 20 Minuten lang Himbeeren pflücken und einer anschließend äußerst zufriedenstellenden Vollheit.

Die sommerlichen Temperaturen erinnern uns daran, dass die Haarpracht der Jungs dringend Aufmerksam benötigen. Nante will es kürzer, Ivo will „so wie Papa“. Glücklicherweise habe ich meine Haarschneidemaschine mit.

Mit seinem neuen Morakniv schnitzt Ivo Stöcker.

Über das Wasser schallt von irgendwo Partymusik her. Auf der Karte entdecken wir einen Campingplatz, nur eine Bucht weiter, und vermuten hier die Quelle. Anne und ich gehen runter zum Wasser, blinzeln gegen die Sonne und versuchen etwas in der Ferne auszumachen. Zum Grundstück gehört ein kleines Ruderboot. Da das Ufer hier stark verlandet und der Boden schlammig ist, fällt es als Badeeinstieg aus.

Allerdings sind Anne und ich sofort fasziniert von einem weiteren Gefährt, welches gegenüber von „unserem“ Ruderboot am selben kleinen Steg vertäut ist: Es sieht aus, wie eine viereckige Terrasse mit umlaufendem Zaun, schwimmt aber und hat einen Motor hinten dran.

Es widerspricht jeder schnittigen Ästhetik, jeder Formschönheit, allem, was der Bildspeicher des Gehirns mit „Boot“ assoziiert. Aber es hat einen großen Barbeque-Grill an Board, Tisch und Stühle, Liegesessel und eine kleine Bartheke und fällt somit definitiv auch nicht in die Kategorie „unsexy“.

Kegelige Säftlinge sind selten, aber schöne Fotomotive.

Wir schnappen uns zu viert das Ruderboot und steuern den nahen Campingplatz an. Die Jungs wollten nicht so recht und haben vor der Abfahrt kräftig rumgemurrt. Die Aussicht auf Eis hat sie schließlich einlenken lassen. Jetzt schmeißen sie sich sogar kräftig in die Riemen. Anne und ich genießen die entspannte Fahrt und müssen nur gelegentlich die Richtung korrigieren. Per Anweisung versteht sich.

Auf dem mäßig großen Zeltplatz stehen drei Zelte. Wie können in Schweden einige der Geschäfte nur überlegen, frage ich mich? Die Rezeption ist nicht besetzt, was bei den Jungs zunächst für lange Gesichter sorgt. Ein hagerer alter Mann in völlig verspeckten Klamotten kommt auf uns zu, wirft den zweiten Latzträger seiner Hose über die linke Schulter und sein Gesicht in Falten, als er uns bemustert und auf Schwedisch anspricht. Unsicher, wie wir reagieren sollen, schweigen wir zunächst. Ivo bricht das Eis und fragt unvermittelt auf Englisch, ob wir hier Icecream kaufen können. Mein Hirn kann nicht so schnell folgen, wieso er ausgerechnet auf die Idee kommt, dieser Lump könne uns weiterhelfen, und ist noch mehr verdattert, als das Gesicht des Mannes plötzlich in sonnigem Lächeln aufstrahlt, die letzten vorhandenen Zahnstumpen entblößt und mit einem „Of course, ice cream, come on!“ entschlossen voranschreitend die Jungs ohne einen Blick zurück hinter sich her winkt. Ein Blick zu Anne bringt mich auch nicht sonderlich weiter. Und schon verschwinden die Jungs mit dem noch vor einer Minute als düster bis gruselig abgestempelten Mann in die Rezeption, deren Tür dieser mit einem der Schlüssel an seinem riesigen Schlüsselbund aufschließt. Wenig später kommen die Jungs wieder raus, glücklich, mit Eis in der Hand. Wir zahlen und bedanken uns. Ein klein wenig Scham schwingt mit.

Zurück in unserem Ferienhaus planen wir direkt einen weiteren Ausflug. Diesmal mit Auto statt mit Boot. Schließlich will Leksand noch von uns entdeckt werden.

Der Ort ist niedlich, klein, um mehrere Wasserläufe herum verstreut angesiedelt. Die Kunst im Ortsbild braucht sich nicht zu verstecken. Kecke Metallskulpturen mimen Interaktionen von Dorfbewohnern, wo keine echten in Sicht sind. Leksand wirkt sehr leer. Die Knäckebrotfabrik sehen wir nicht.

Als wir wieder gen Ferienhaus aufbrechen wollen, steht unserem Foki ein Auto mit Land-Rostocker Kennzeichen gegenüber. Deutsche Fahrzeuge haben wir hier seit Wochen nicht gesehen und freuen uns, in Heimatverbundenheit, über diesen kleinen Zufall.

Zurück im Haus lassen wir den Abend gemütlich ausklingen. Anne liest, Ivo hört Hörbuch, Nante klimpert auf dem Klavier, und ich lasse anhand von Fotos den Tag an mir Revue passieren.

Unsere Klamotten sind am nächsten Tag schnell wieder gepackt und im Foki verstaut, als uns ein Foto unseres Freundes Maik erreicht, welcher bereits an unserem nächsten Etappenziel angekommen ist und es sich dort in der Hängematte gut gehen lässt. Wir sind voller Vorfreude auf das Wiedersehen und geben Gas.

Hier noch ein paar Eindrücke von unserer Unterkunft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.