Ein Freund besucht uns am Rönsjön in Rimbo (03. bis 08.08.2020)
von Reike
„Ok ok, alle aufhörn zu lachen, nochmal! Drei, zwei, eins..“ zum siebten oder drölften Mal versuchen wir vergeblich einen Jugendweihegruß an unsere Nichte mit dem Smartphone aufzunehmen, mit ernstem, feierlichem Pathos. Aber ernst ist nicht so unsere Sache. Irgendwann gebens wir es auf, unsere Gesichter und Bäuche schmerzen schon vom Lachen. Wir wählen die beste Version aus und schneiden ein paar Out-takes hinzu. Es ist jammerschade, dass wir nicht live mit ihr diesen wichtigen Tag feiern können und feiern daher aus der Ferne mit. Gerade als ich auf Senden drücke, erreicht mich eine WhatsApp von Maiki: „Gelandet“
Er hat es vom Stockholmer Flughafen noch vor uns zum Ferienhaus geschafft, welches uns die kommenden Tage gemeinsam beherbergen soll. Auch hier wieder ist die Zugänglichkeit der Unterkunft durch ein Zahlenkombi-Schlüsseltresor sichergestellt. Maik schickt uns ein Bild „Machs mir schon mal gemütlich“. Anne und ich freuen uns riesig auf Maiki. Die Kids sind auch schon ganz aufgeregt.
Dreißig Minuten später sind wir fast da. Von einer quer durchs Land gehenden Hauptstraße biegt ein winziger Schotterweg ab und führt hoch in die Berge. Es geht kreuz und quer, bergauf und bergab, aber zur Abwechslung führt uns das Navi mal zielsicher ans unseren Ankunftsort. Es ist bestes Sonnenwetter, gut 20 Grad als wir ankommen. Maiki empfängt uns schon draußen und die Freude über das Wiedersehen ist bei uns allen riesig. Wir drücken uns feste und herzen uns. Als wir das Haus in Augenschein nehmen, staunen wir gemeinsam über den überwältigenden Blick, welcher vom Grundstück vorbei an Kiefernspitzen direkt abwärts in Richtung See fällt.
Ich bin noch damit beschäftigt, zusammen mit Anne und den Jungs unsere mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangene Auspackroutine abzuspulen: Sachen aus dem Auto holen, ins Haus bringen, Schränke einräumen, Betten beziehen, Kühlschrank füllen. Als Maiki sagt: „Ich geh schon mal angeln, ihr habt hier ja noch zu tun“ und mit Rute, Käscher und Bier lässig an mir vorbei zieht, werde ich sehr plötzlich sehr unruhig. Ivo findet Maiks Vorhaben spannender als Taschen auspacken und begleitet ihn. Meine letzten Handgriff verlaufen etwas hektisch. „Na los, ab mit Dir!“ sagt Anne und entlässt mich, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Ich folge Maiki mit Angeltasche auf dem Rücken den sehr steilen Zickzackpfad nach, welcher direkt unterhalb unseres Hauses beginnt und knapp 50 Höhenmeter bergab direkt auf einen gar nicht mal so kleinen Privatsteg führt.
Die meisten Angler werden den Adrenalinrausch kennen, dieses Gefühl der letzten Minuten der Vorbereitung, wo noch finale Wege zu beschreiten sind, Angelruten aufzubauen sind, Montagen zu knoten sind. Das Gefühl, seinen Herzschlag im Ohr pochen zu hören, wenn der Angelfreund schon etwas früher fertig ist und bereits den ersten Auswurf macht, während man selbst noch zunehmend verzweifelt versucht, den Wirbel vernünftig zu verknoten. Bis es dann endlich soweit ist und der erste, beruhigende Wurf das Wasser erreicht. Wir haben nicht viel Zeit bis der Sonnenuntergang uns zum Abendbrot hochruft, aber wir fangen tüchtig und haben somit direkt einen tollen Einstieg.
Anne hat währenddessen mit Nante einen bezaubernden Essenstisch bereitet. Herrlicher Duft nach frisch gebackener Pizza sucht sich mit dem Luftschwall, der uns durch das Aufziehen der Tür entgegenstürzt, seinen Weg zu unseren Synapsen. Wir schlemmen wie die Könige und schnattern noch lange, nachdem wir die Kids ins Bett verfrachtet haben, bis in die späte Nacht hinein.
Der nächste Morgen hält, was die positive Wetterprognose am Vorabend versprach. Anne schafft es zuerst aus den Federn, mich lässt die Bettwärme noch nicht so richtig los. Als ich aufstehe, herrscht Ruhe im Haus. Die Kinder schlafen noch. Es wurde spät gestern. Im Wohnzimmer und in der Küche finde ich niemanden. Als ich raustrete auf die umlaufende Holzterrasse, freue ich mich über den Anblick: Maiki und Anne trinken, in Decken zum Schutz vor restlicher Nachtkälte gewickelt, jeder einen Pott Kaffe von beiden Händen umschlossen und blicken dabei nicht einander an sondern auf den See, der sich just von letzten Fetzen nächtlichen Nebels befreit. Ich werde die zwei in den kommenden Tagen noch öfters hier zusammen sitzen sehen. Es ist eine unwahrscheinlich friedliche Stimmung und ich bin sehr glücklich über diesen wunderbaren Moment mit diesen beiden wundervollen Menschen.
Die Ruhe währt nicht lange und die kleinen Geister erwachen. Mit bester Laune stelle ich die Zutaten für selbstgebackene Hörnchen raus: Mehl, Hefe, Zucker, Butter, Milch. Die Kids sind sofort begeistert. Wir lieben es, Hörnchen zu backen. Alles daran. Das gemeinsame Zutaten aufzählen. Das Teig kneten (kleine Nascheinlagen von rohem Teig inklusive). Das Ausrollen. Das Hörnchen formen. Und wie der Ofenduft dann langsam das ganze Haus erfüllt und dabei Appetit und Vorfreude anfeuert.
Dermaßen gut gestärkt liegt nichts näher, als zum Nachtisch eine Runde zu angeln. Dafür haben wir uns eine Stunde Zeit gegeben, denn wir wollen noch Vormittags einen Ausflug zu fünft machen.
Bei uns vieren dauert es immer ein bisschen länger, bis wir loskommen. Maiki lässt sich davon nicht stören und chillt derweilen.
Als Ausflugsziel haben wir uns für einen naheliegenden Baggersee entschieden, der rundliche Felsformationen freigelegt hat und heute mit seinem glasklaren Wasser als Top-Ausflugsziel in der Region gilt. Bei der Ankündigung von glasklarem Wasser sind wir skeptisch. Außer braune Brühe haben wir in Schweden nur am Yxningen klares Wasser erlebt.
Die Temperaturen klettern rasch. Endlich wieder Sommer. Als wir den See laut Navi erreicht haben, sind wir schon ein bisschen durchgegarrt. Wir müssen uns zu Fuß durch einen kleinen aber dichten Streifen Birken und Kiefern kämpfen, und stoßen schließlich an ein steil abfallendes Sandstrandufer, eingerahmt von Steinformationen links und rechts. Sekunden später sind die Kids im Wasser. Maik und ich werfen uns Blicke zu, die ein ganzes Gespräch über hier vorkommende Fischarten, gut geeignete Angelspots und das Bedauern, jetzt nicht fischen zu können, ersetzen.
Wir sind fast die einzigen hier am See, der sich tatsächlich als sehr schöner Badesee entpuppt. Die Jungs erschwimmen sich sogar eine Sandbank, umgeben von tiefem, bodenlosen Blau. Mit ebenfalls blauen Lippen ruft Anne sie schließlich aus dem Wasser, was die beiden mit gebührender Widerwilligkeit auch befolgen. Die nächste Stunde wird geklettert, was das Zeug hält. Der warme, glatte Stein schmeichelt unseren baren Füßen.
Ausgepowert und wie hungrige Wölfe bereiten wir, zurück am Haus, das Abendbrot vor. Das Wetter erlaubt uns, dafür draußen zu bleiben. Auch wenn die Temperaturen rasch in Richtung 15 Grad fallen, genießen wir die Geselligkeit sehr.
Da die Jungs sich weigern, beim Tischdecken zu helfen, werden sie zum anschließenden Abwasch verdonnert. Ich beobachte die zwei und erinnere mich dabei an meine eigene Kindheit und daran, mich ganz ähnlich mit meiner Schwester durch so manchen Abwasch gequält zu haben. Schöne Erinnerung. Und Gott sei Dank gibt es mittlerweile Geschirrspüler.
Die Kids schlafen heute schnell ein. Das Baden und Klettern fordert seinen Tribut. Anne, Maiki und ich öffnen noch etwas von dem Wein, den Maiki mitgebracht hat, und genießen den Abend. Ich frage mich, ob mir diese Tage schöner vorkommen, als sie in Wirklichkeit sind.
Der nächste Morgen beginnt mit einem mir bekannten Anblick. Der morgendliche Pott Kaffe auf der Holzterrasse entwickelt sich für Anne und Maiki zum Ritual.
Ebenso das Angeln direkt nach dem Frühstück für Maiki und mich. Heute wollen wir jedoch den ganzen Tag hier bleiben, um endlich mal ausgiebig und ohne begrenzende Pläne nach hinten raus angeln zu können. Die kommenden Stunden sollen uns ungeahntes Angelglück bescheren.
Keine fünf Minuten ohne einen Biss. Die Anzahl pfannentauglicher Barsche und Hechte erreicht schnell jeweils den zweistelligen Bereich. Wir schwingen uns in eine Euphoriespirale hoch. Dem See war sein Fischreichtum nicht anzusehen. Aber jetzt fordert er unserem Material alles ab. Egal ob Jerkbaits oder Wobbler, Posenmontage oder Köfi, Dropshot oder Spinner. Die Blanks unserer Routen biegen sich wie die Rücken einer kampflustigen Katze, und schnurren ebenso.
Ein jähes Ende findet unsere Angelei, als zwei Nackedeis an uns vorbei preschen, im Lauf gerade noch „Wir baden jetzt“ rufen können und kurz darauf in einem Durcheinander spritzenden Wassers verschwinden.
Maiki und ich akzeptieren unser Schicksal, befriedet von den vorangehenden Angelerfolgen.
Zum Abendbrot gibt es in Butter gebratenen Barsch und Hecht. Während der Fisch brutzelt, besprechen wir unsere Dankbarkeit über das, was uns die Natur zur Verfügung stellt. Wiedereinmal fühlen wir uns vom Leben reicht beschenkt.
Natürlich beginnt auch der nächste Morgen mit einem leckeren und vor allem gemeinsamen Frühstück. Aufgebackene Brötchen, frisches Obst, Joghurt mit Früchten und leckere schwedische Konfitüren unterfüttern munteres Geplapper über das bisher Erlebte und das noch Geplante.
Nach einem Kurztrip in den 10 Kilometer entfernten nächsten Mini-Ort entscheide ich mich zu einem Erkundungsausflug in die uns umgebenden, bewaldeten Berge. Maiki und ich werden auch nochmal zusammen los ziehen. Es wird ein schönes gemeinsamer Ausflug durch dichtes, teils sehr unwegsames Geländer. Heute aber ziehe ich alleine los. Mich macht es immer wuschig, wenn ich die nähere Umgebung nicht kenne. Anne will solange lesen, Maiki angeln.
Zurück von meinem Waldausflug finde ich das Ferienhaus in friedlicher Stimmung wieder. Alle haben sich heute ein wenig Ich-Zeit genommen und zurück gezogen. Nante spielt mit seinen Figuren. Ivo hört Harry Potter als Hörbuch. Anne liest. Maiki angelt. Und ich bringe einen Korb voll Pilze zurück.
Mal sehen, ob Maiki erfolgreich war. Entspannt finde ich ihn unten am Steg. Sein Gesicht hat ordentlich Farbe bekommen. Die Fische haben auch heute gebissen. Er sieht happy aus.
Dementsprechend gibt es heute Abend Pilzpfanne mit Fisch und Öl – einer schwedischen Biermarke.
Anne rührt uns noch frischen Kräuterquark an. Kann es eigentlich noch besser werden?
Am nächsten Morgen dauert es den Kids zu lange, bis wir mit dem Frühstück aus dem Knick kommen. Um elf machen sie sich Cornflakes. Während es aus der Küche schlürft und knirscht und schmatzt, lese ich Nachrichten von zu Hause. Wir teilen uns das Hochdruckgebiet mit halb Europa. Auch in Berlin schwingen die Temperaturen um die 30 Grad, genau wie bei uns hier nahe Stockholm. Unsere lieben Wohnungs-Sitter schicken uns Bilder von den reifenden Tomaten auf unserer Terrasse daheim.
Das neue Schuljahr beginnt kommende Woche und Corona hält das Land, die Welt weiter im Bann. Die Schulen werden allein gelassen mit der Verantwortung, Sicherheitskonzepte zu entwickeln. Einige zweifeln, dass die Schulen überhaupt aufmachen werden. Dass wir hier in unserer absoluten Abgeschiedenheit so wenig von Corona mitbekommen, finde ich toll.
Es lässt sich hier ganz ausgezeichnet aushalten. Wir naschen Himbeeren aus dem Garten, gehen alle Stunde mal baden, faulenzen auf der Hängematte, lesen und schnattern. Mehr nicht.
Besonders freuen sich die Jungs, wenn auch mal einer von uns Erwachsenen mit Baden kommt. Dann gibt es kein Halten mehr und das Baden artet zum Arschbombenwettstreit und Schwimmringerobern aus.
Natürlich darf auch die Hygiene bei alle dem nicht zu kurz kommen. Eine 100% umweltfreundliche Bio-Outdoor-Seife – das Reisegeschenk einer lieben Freundin – bereitet uns heute ein besonderes Vergnügen und wird noch Wochen später in „meine schönsten Ferienerlebnisse“ Eingang finden.
Unser letzter voller gemeinsamer Tag hält leicht abfallende Temperaturen bereit. Es ist bewölkt und schwül. Wir entscheiden uns für einen Ausflug zur nahen Ostsee. Maiki und ich spekulieren auf Abwechslung in der Art des Angelgewässers, auf andere Fischarten. Anne will auch zur Ostsee, scheut aber lange Wartezeiten auf uns, während wir angeln. Wir entscheiden uns für einen Kompromiss: zeitlich begrenztes Angeln an einem landschaftlich schönen Klippengebiet.
Zwar fangen wir hier rein gar nichts, nicht mal einen Biss können wir verzeichnen, aber das Herumkraxeln zwischen den Felsformationen macht Spaß. Wir entdecken einen alten Festungsverschlag, vermutlich aus dem zweiten Weltkrieg, in Stein geschlagen und mit Beton umbaut. Es riecht muffig. Graffiti ziert den Eingang in den Bunker, der schon nach wenigen Metern verschüttet ist.
Zurück im Ferienhaus wird die Angel nochmal ausgepackt, denn jetzt verkünden die Jungs Lust, „endlich auch mal mitzuangeln“. Maiki und mir solls recht sein.
Die Bisse lassen nicht lang auf sich warten. Was für ein unglaublicher Angelspot. Bei tief stehender Sonne genießen wir zu viert die Angelei. Erneut fangen wir genug für eine ganze Malzeit zu fünft.
Wehmut ergreift uns, einen nach den anderen. Verstohlen stellen wir fest, dass es der letzte gemeinsame Abend ist, bevor Maiki wieder zurück reist. Wir wollen uns nochmal richtig gönnen und entscheiden uns für ein Abendbrot am Lagerfeuer.
Für die Jungs gibt es auf Wunsch Rindfleischburger, für uns anderen drei gegrilltes Gemüse, kühlen Wein und frischen Fisch mit Salz und Zitrone. Es ist ein wahrlich schöner Abend, den wir genießen, während wir zusammen reden und lachen und schweigend ins Feuer starren, bis kein Licht mehr übrig ist. Ich fühle mich voll getankt von dem Glück der vergangenen Tage.
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