Klippenklettern auf Gränsö (24.06.2020)

von Reike

Västervik hat es uns wirklich angetan. Die Stadt ist mit ihren knapp über zwanzigtausend Einwohnern sehr klein, und unheimlich charmant. Eigentlich ist es die erste schwedische Stadt, in der wir sind, die uns direkt mit diesem gewissen Seebad-Feeling erfasst. Kleine Gassen, ein wenig bergauf, bergab, niedliche Fischerhäuser, schöne Flaniermeilen, denen die Hängegeranien aus den Töpfen tropfen, ein quirliger Stadthafen mit glasklarem Wasser, alles wunderbar in Schuss und derart viele attraktive Nahziele in der unmittelbaren Umgebung, dass man hier auch leicht drei Wochen verbringen könnte.

Heute haben wir uns für einen Besuch der Insel Gränsö entschieden. Einen Steinwurf über offenes Wasser entfernt, schützt die ewig reichende Halbinsel seit Jahrtausenden Västervik vor den unbarmherzigen Einflüssen der Ostsee. Wenn man in fremde Gegenden kommen, gibt es bestimmte Fotomotive, die immer wieder auf Postkarten und Prospekten auftauchen. Dieser Regel hat internationale Gültigkeit. Oft lohnt es sich dann, diese Fotomotive als Ausflugsziele anzusteuern. Auf einem Flyer der Stadtinformation entdecken wir Wanderrouten auf Gränsö und bekommen Lust, das freundliche Wetter in vollen Zügen auszuschöpfen. Nicht zuletzt ziehen uns die Bilder von Klippenlandschaften an, welche uns an die Seychellen erinnern. Kann es hier wirklich etwas derart Schönes geben? An der Ostsee?

Wir parken unseren Foki auf einem gut gekennzeichneten Waldparkplatz und ziehen los. Im Rucksack natürlich Marschverpflegung, Sonnencreme, Badeklamotten und Handtücher. Gleich am Eingang des Waldes empfangen uns die ersten schwedischen Pilze des Jahres (in Deutschland hatten wir unsere erste Pilzmahlzeit bereits im Mai :)).

Schutzhütten wie diese sind in Schweden weit verbreitet, und bieten keinen Komfort aber wilde Romantik und .. eben Schutz.

Etwa eine halbe Stunden wandern wir durch feuchten Wald aus Birken, Pappeln und Kiefern. Schwadronen von Stechfliegen steuern uns aggressiv an. Dank dem schwedischen MYGGA jedoch machen sie widerwillig an unserer Haut wieder kehrt. Der Wald wird dichter, der Boden torfiger, und statt der Kiefern dominierend zunehmend dichtgewachsene Wacholdersträucher den grünen Saum zu unserer Linken und Rechten. Nur die Heidelbeeren bedecken in gewohnter Manier den dichten Moosteppich. unter uns. Plötzlich enden die Bäume. Karger, rundgeschliffener Fels zeigt sich und bietet außer Moosen, Gräsern und Flechten nur wenigen Pflanzen Halt. Daher erstrahlt die blaue Ostsee

Vereinzelte Steinklippen haben wir schon mehrfach in Schweden gesehen. Diese Klippenlandschaft ist jedoch eine Superlative. Auf einer Strecke von mehreren Kilometern türmen sich riesige Felsbrücken wie durch eine wütende See aus urigen Zeiten ans Ufer geschleudert vor uns auf, soweit das Auge reicht. Für unsere Jungs ist es das perfekte Kletterparadies.

Weil so viel Klettern hungrig macht, nutzen wir eine Picknickbank aus Holz und machen Pause. Die Dichte, mit denen Schweden an seinen schönen Orten für jedermann kostenfreie Picknickstellen unterhält, macht uns nachdenklich, ein wenig demütig und sehr dankbar.

Überall dort, wo Eis und Kälte vereint dem Granit über Jahrhunderte zusetzten, finden sich Spalten im Gestein. Jeder Riss ein verlorener Kampf. Jede Niederlage die Basis neuen Lebensraums. Die Spalten füllen sich mit Regenwasser. Und an ihnen entstehen neue Minibiotope. Wilder Baldrian und Schnittlauch blühen hier um die Wette und ziehen seltene und bunte Schmetterlinge an. Ein Seeadler kreist über uns.

Es ist anstrengend, sich einen Weg über das unwegsame Gelände zu suchen, aber eine Anstrengung, die Freude bereitet. Jeder Schritt erfordert eine andere Herangehensweise. Teilweise müssen wir klettern, teilweise springen, teilweise uns auf schmalen Graten an Wasserlöchern vorbeizwängen. Wir finden Gefallen an dem Spiel und vergessen die Zeit.

Woran liegt es, dass wir diesen wundervollen Ort ganz für uns allein haben? Vermutlich gibt es schöne Landschaften in Schweden einfach in Überfluss.

Tatsächlich beschließen Anne und ich, dass die Klippen von Gränsö mit denen der Seychellen mithalten können. Das Wasser freilich ist kälter, wobei wir das erst noch herausfinden wollen. Dennoch sind wir baff, ein solches Landschaftsjuwel so unweit der Heimat vorzufinden.

Wilder Schnittlauch ist schön und lecker.
Wo sich Mulden im Fels bilden, halten sie nicht nur Wasser aus den überschießenden Wellen zurück. Auch Fische tappen gelegentlich in diese gefährliche Falle. Wenn die Sonne dann den Verdunstungsprozess startet, laufen die Minuten für die so gefangenen unaufhaltsam ab.

Nach mehreren Stunden auf diesem natürlichen Abenteuerspielplatz unter sengender Hitze gelangen wir auf ein Felsplateau, welches eine nicht sehr hohe Klippe zum Wasser bildet, deren steile Vertikale sich aber unter Wasser fortsetzt.

Schon seit rund einer Stunde ist uns nach einer Abkühlung zu Mute, doch ich lege jedes Mal Veto ein, weil der Weg hinein ins Wasser oft sicher, der Weg wieder raus aber unmöglich scheint. Hier könnte es jedoch klappen. Unsere ausgepackten Badeklamotten werden nicht zum Einsatz kommen. So natürlich und schön, wie sich der nackte Fels uns präsentiert, präsentieren wir uns auch ihm. Schneller, als man bis 10 zählen kann, sind wir mit einem gewaltigen Sprung alle im kühlen Blau entschwunden. Die Ostsee nimmt uns auf, als wartete auch sie schon seit Stunden. Wir baden, bis wir erschöpft sind, drehen lustige Familienspringvideos und sinken schließlich erschöpft und ausgekühlt auf den uns wärmenden Stein nieder.

Einige von uns klettern sich lieber warm 🙂

Auf dem Weg zurück zum Auto kommen wir erneut durch sumpfigen Wald. Schwere Holzbohlen führen vorbei an verblühtem Flieder, wuchernden Himbeeren, schönem Fingerhut und teils uralten Baumriesen zurück zum Parkplatz. Was für ein schöner Ausflug.

Als wir schließlich wieder auf Västervik zurollen, sehen wir durch Autoscheiben erschöpft und vergnügt den Jugendlichen zu, wie sie von der gut besuchten Badeplattform des städtischen Hafenbades springen, und genießen das Gefühl, heute etwas sehr Exklusives, in Geld nicht aufzuwiegendes erlebt zu haben.

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